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Rasender Roland im Holz-Ufo

Harald Thor hat ein märchenhaft schönes Bühnenbild gebaut; Andrea Schraad nähte die Kostüme der Sänger. (Die Tänzer kommen lange Zeit mit Unterwäsche aus.) Fotos: Matthias Creutziger

Der Vorhang zu "Orlando" geht auf, und gleich ist man von der märchenhaften Schönheit des Bühnenbildes eingenommen. Ein sicherlich in alle Richtungen endloser, alter und vielleicht schon lange toter Nadelwald steht da (zwei Bühnenmaler der Semperoper haben, wird berichtet, drei Monate daran gewerkelt). Auf einer Lichtung eine Traumkapsel: ein edler Salon mit Kronleuchter, Sofa, Bett, Heizkörpern, aber alles aus Holz, und dadurch der Wirklichkeit entrückt. Später wird dieses kompromisslose Raum- und Ausstattungskonzept leicht verwässert; wenn etwa Orlando sein stählernes Schwert Dorindana zieht, Tänzer bunte Stoffbänder aus Reisekoffern holen oder mit Plastikkrücken durchs Unterholz tappen, was mich im Übrigen sofort an die Compagnie Marie Chouinard erinnerte – – – aber der Reihe nach.

Andreas Kriegenburg, der Schauspielregisseur, hat in Dresden, auf Einladung Ulrike Hesslers hin, seine erste richtige Barockoper inszeniert. Und – einige kräftige Buhs aus dem Publikum bekräftigten meinen Eindruck – am Ende seine Chance verschenkt. Warum? Weil nach spätestens einer Stunde zwei Gefühle um die Vorherrschaft in der Rezensentenbrust stritten: erstens die Langeweile, die sich breitmacht, weil Kriegenburg mit den Sängern und ihren endlosen da-capo-Arien nicht viel anzufangen weiß, außer sie hier- oder dahinzustellen und sie hin und wieder vom einen Ende der Bühne zum anderen laufen zu lassen. Und zweitens der leise Ärger darüber, dass der Regisseur, wohl weil er der Wirkung der Musik misstraute, zehn Tänzer in die Oper einschleust, die ein stilistisch breites Spektrum von verschiedenen Ausdruckstanzformen bis zur Zeichensprache aufbieten, Soli und Gruppenchoreographien abarbeiten und immer wieder spiegeln, was der Sänger gerade schon gesungen hat oder gleich singen wird – und dabei fast immer kolossal stören. Irgendwie hat man diese Rollenverteilung nach ein paar Minuten begriffen – und muss sie doch bis zu einem enttäuschend schwachen Schlussbild ertragen.

Um die gefürchtete da-capo-Lähmung zu umgehen, greift Kriegenburg zum wiederholten Mal auf Tänzer zurück (Choreographie: Zenta Haerter). Sie machen nur eins deutlich: der Regisseur misstraut der Musik.

Verlegene Sänger stehen und gehen herum

Die Sänger? Gut. Aber für Händel am Ende vielleicht doch die falschen, was einige intonatorische Schwächen und Verlegenheiten im Umgang mit Ausschmückungen und emotionalen Ausdeutungen nahelegen. Christa Mayer als Orlando: ambitioniert, mit Glut singt sie die Kastratenrolle, kann sich aber nicht recht entscheiden zwischen mutigem Helden und rastlosem Wüterich ("Gewalt passt nicht in die Barockoper", stellt Kriegenburg selbst fest – und zwingt doch seine Sänger dazu – warum?). Carolina Ullrich als Angelica, Gala El Hadidi als Medoro: beide überzeugen, Hadidi bisweilen mit wohltuender Schärfe. Barbara Senator als Schäferin Dorinda hätte mehr Leidenschaft aufbieten dürfen. Und Georg Zeppenfeld wirkt über weite Strecken einfach nur verlegen. "Was soll, was darf ich hier eigentlich?", scheint der Blick des weisen Zauberers, der am Ende alles gut macht, zu fragen. 

Das Orchester? Unter der Leitung von Jonathan Darlington musiziert die Staatskapelle (Konzertmeister: Matthias Wollong) weich und artikuliert klug; bis auf einen kurzen Tonarteninfarkt einer Viola da gamba ist das schon stimmig. Aber wäre ein Gastensemble nicht doch in vielem überzeugender, schlagkräftiger, explosiver, wandlungsfähiger gewesen? Es ist nur eine Vermutung.

Was – wir können diese Art Musik heute gar nicht mehr schätzen, wir überpsychologisieren und haben falsche Erwartungen? Gehört Händels »Orlando« überhaupt noch auf die Bühne? Ja, unbedingt! Auch auf die der Semperoper! Aber vielleicht braucht es, um das Publikum mitzureißen, doch Sänger und Instrumentalisten, die die Barockoper nicht nur als Herberge, sondern als ihr Zuhause begreifen – und sich dort sauwohl fühlen. Sonst fallen einem irgendwann – Tänzer hin oder her – doch leis die Augen zu.