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Klangrufe und stille Momente

Im Hygienemuseum ist es eher still – wenn nicht gerade eine laute Schulklasse umgeht oder die Ausstellungsstücke durch Tonbeispiele untermalt werden. Abends jedoch, wenn die Museumsbesucher gegangen und die Ausstellungen geschlossen sind, erstehen manchmal ganze Klangwelten… So zum Beispiel, wenn das Philharmonische Kammerorchester Dresden zu der Veranstaltungsreihe „Philharmonie im Museum“ einlädt. Am Mittwoch standen Werke tschechischer Meister mit dem Sologeiger Ivan Ženatý auf dem Programm.

Foto: Tomáš Lébr

Das Programm vollzog einen Querschnitt durch die Jahrhunderte tschechischer Musik. Frisch leitete Wolfgang Hentrich von der ersten Geige das Kammerorchester in Leoš Janáčeks „Suite für Streichorchester“ an. Hentrich braucht nur kleine Gesten, um die kleine Besetzung harmonieren zu lassen. Zart wie der Beginn des Lohengrin (der möglicherweise eine Vorlage gewesen ist, denn Janáček hat das Stück eingehend studiert), frühlingshaft elegant der dritte Satz, düster und ernst, durch die tiefen Streicher dann der fünfte… Mit Franz Benda, einem Zeitgenosse C.P.E. Bachs, der ihn für seine ausdrucksstarken Kompositionen lobte, ging es ein anderthalb Jahrhundert in der Musikgeschichte zurück. Bendas Violinkonzert B-Dur brachte der langjährige Dresdner Professor für Violine Ivan Ženatý zu Gehör, der dieses Werk eben erst mit den Prager Philharmonikern aufgenommen hat. Virtuose Klankaskaden überraschten den Hörer. Leichten Fußes tänzelte der Violinist vor den Orchester und füllte den Saal mit seiner Vitalität und Spielfreude. Gleichermaßen gelangen der andachtvolle zweite und der wilde dritte Satz. Die blitzartigen Einwürfe und die schnellen, rhythmisch betonten Figuren sprühten geradezu! Jede Passage erhielt durch eine spannende Dramatik einen ganz eigene Seele. Das „Divertimento (Serenata II) für Violinen und Bratschen“ von Bohuslav Martinů – ein eher brav bis heiter angelegtes Stück – nahm das Publikum dann wieder mit ins 20. Jahrhundert. 

Nach der Pause wurde der Bogen zur Gegenwart mit Jiři Gemrot gespannt. Der 1957 in Prag geborene Komponist schrieb seine „Trauermusik für Violine und Streichorchester“ für Ivan Ženatý, der das Werk auch uraufführte. Das Dresdner Konzert stellte die deutsche Erstaufführung dar. Gemrot versucht mit seiner Klangsprache eine Brücke zwischen zeitgenössischer Musik und dem Publikum zu schlagen und benutzt dazu eine Stilsynthese, die der Martinůs ähnelt. Ein spannendes Stück, so meisterhaft dargeboten, schaffte diese Brückenschlag zum Publikum, trotz der schwer verständlichen Melodik und den mikrotonalen Einschlägen. Aus einem wundersam düsteren Klangnebel, mit weinerlich unreinen Tönen, erhob sich die Sologeige. Immer wieder baut sich das Stück zu Klagerufen auf, unterbrochen von stillen Momenten. Ein Teil wurde nur im Quartett gespielt. Glasklar stand der Ton des Solisten bis in die höchsten Flageoletts. Das Streichorchester gab ihm den nötigen Rückhalt in diesem anspruchsvollen Werk. Die klassizistischen Einschläge hielten die Musik stets in bekannten Sphären, so dass diese an keiner Stelle besonders avanciert klang. Doch die leidenschaftliche Interpretation, besonders durch die hervorragende Intonation Ženatýs und dessen Gefühl für einen stimmigen Ausgleich der gegensätzlichen Teile dieses Stücks, hinterließen bei den Hörern tiefen Eindruck.

Zum Konzertausklang noch ein paar bekannte Melodien Dvořáks aus seiner „Romanze f-Moll für Violine und Streichorchester“ und das weniger bekannte „Mazurek e-Moll für Violine und Streichorchester“; das Stück bildet eine Parodie auf die vielen Mazurka-Kompositionen, die seinerzeit wie Pilze aus dem Erdboden schossen. Süße, romantische Melodien verführten in diesen Kompositionen und Ženatý übertraf sich in Temperament und Spielvermögen selbst. Seine Freude in den Klängen riss seine Mitmusiker mit; zusammen gelang ihnen ein herrlicher Ausklang. 

Der Abend gelang durch den Strom eines Programms, dessen ausgewählte, selten gespielte Stücke sowohl für die Musiker, als auch für das Publikum zu großen Teilen neu war. Reicher, ehrlich begeisterter Applaus.

David Buschmann