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Auf Hochzeitsreise

Die Suntory Hall in Tokio gilt als einer der weltweit feinsten Konzertsäle (Foto: M.M.)

Weit weg sind die Alltagssorgen. Weit weg die Dienste im Orchestergraben der Semperoper, die winterlichen Temperaturen in Elbflorenz. Die Staatskapelle ist auf einer ausgedehnten Asientournee, es ist die längste Reise der Spielzeit, sie führt von Japan über Taiwan nach China. Zehn Konzerte in achtzehn Tagen – das ist vergleichsweise entspannt, zumal ein ruhiges Tokioter Hotel neben der für ihre Akustik gerühmten „Suntory Hall“ dem Orchester länger als eine Woche als Wohnung diente. Dazu sonnige 21 Grad in der japanischen Hauptstadt, und ab morgen stolze 30 Grad in Taipeh, wo das Konzert mit den Ouvertüren und Vorspielen von „Tannhäuser“, „Tristan“, „Rienzi“, „Lohengrin“ und Johannes Brahms’ Erster Sinfonie ins Freie übertragen wird. Zehntausend ‚Public Viewers‘ erwartet Orchesterdirektor Jan Nast für dieses Event: Richard Wagner für alle!

Ein hochdiszipliniertes und sehr fachkundiges Publikum dagegen ließ sich in den vergangenen Tagen in Kyoto, Tokio, Nagoya und Yokohama von den Dresdner Musikern verzaubern. Atemlose Stille herrschte in den bis zu 3.800 Plätze fassenden Riesensälen, während Brahms und Wagner wogten. Langeweile lässt der Chefdirigent auch für leidenschaftliche Mehrfachbesucher nicht aufkommen. Davon gibt es in Japan tatsächlich nicht wenige, und das bei Kartenpreisen von 300 Euro für ein Ticket im zweiten Rang! Jedes Konzert hat andere Facetten: mal lassen die Streicher die römische Morgenröte prachtvoll erglühen, während sich an anderen Abenden die Blechbläser in voller Rüstung mit Rienzi und seinen Plebejern in die Schlacht werfen.

Inspiration, auf CD gebannt

"Lassen wir’s auf uns zukommen!" (Foto: Matthias Creutziger)

Auch ein DVD-Mitschnitt steht auf dem Programm, eine Koproduktion von Unitel und dem japanischen Rundfunksender NHK. Hier, an diesem Abend, zeigt sich, wie sich Orchester und Dirigent gegenseitig beflügeln. Eine Anspielprobe am Vormittag muss den Musikern reichen; zum letzten Mal werden einige Stellen durchgesprochen, die Intonation blankgeputzt, Tempi ausgetestet. Dann sagt Thielemann: „wie die Stelle heute Abend wird, werden wir sehen; lassen wir das einfach auf uns zukommen!“ Welten trennen so einen live-Mitschnitt von Studioaufnahmen, die bis ins letzte Detail akribisch festgezurrt sind; und nur so lässt sich wohl die Inspiration und die Belebtheit einer musikalischen Schöpfung aus dem Augenblick auf DVD bannen. Nicht ohne Risiko natürlich: manches Detail lässt sich im Nachhinein vielleicht nur erklären, wenn man im Saal dabeigewesen ist. Wenn Thielemann dann und wann mit einer Bewegung der linken Hand die Geigen bis fast zur Unhörbarkeit wegwischt oder ein Tempo vor einer Fermate ersterben lässt: das wirkt auf das Live-Publikum anders als den CD-Hörer.

So philosophieren wir etwa mit Yuki Manuela Janke, der neuen Ersten Konzertmeisterin, am Frühstückstisch über die Beethoven-Sinfonien, die Thielemann mit den Wiener Philharmonikern vor zwei Jahren aufnahm. Die Geigerin bekennt, die Mitschnitte hätten sie erstaunt, teilweise befremdet: „An machen Stellen dachte ich, das steht doch gar nicht in den Noten!“ Mittlerweile hat sie herausgefunden: dieses Unberechenbare, das ist das Besondere an Christian Thielemann. „Bei den Proben hat er eine sehr genaue Klangvorstellung; das gibt eine Basis. Und was dann auf der Bühne passiert, passiert eben.“

Japaner sind gespannt auf die chemische Reaktion Thielemann-Staatskapelle

In Japan hat die Staatskapelle einen treuen Freundeskreis, man trifft sich nach den Konzerten und tauscht sich auch gern mit den Musikern aus (Foto: M.M.)

Werke des neunzehnten Jahrhunderts auf diese Weise in die Gegenwart zu holen, dürfte nebenbei nicht die schlechteste Art und Weise sein, an die auch in Japan immer wieder beschworene Klangtradition der Staatskapelle anzuknüpfen und die Hörer gleichzeitig im positiven Sinn herauszufordern. „Thielemann gehört zu einer jüngeren Generation von Dirigenten,“ sagt Keiko Manabe, Produzentin und Künstlerische Beraterin der Tokioter Suntory Hall. „Auch in der Welt der Klassik braucht man Stars! Nach Karajan, Kleiber, wo sind die Stars heute? Ich sage: Thielemann! Gerade die Kombination mit der Staatskapelle, die ja eine lange Geschichte hat, finden Japaner sehr interessant – und genießen es.“

Aber auch die Musiker genießen die Stunden mit ihrem „Neuen“. Tagsüber geht zwar jeder seiner Wege – der eine (Thielemann) stürzt sich in die „Onsen“, Japans heiße Quellen, oder geht mit Keiko Manabe im Park spazieren; die anderen gehen auf Einkaufsbummel, treffen alte Freunde oder erkunden per Fahrrad die Stadt. Abends aber finden sich alle zusammen, für Wagner, Bruckner, Brahms. Sind schönere Flitterwochen denkbar?

Eine Textfassung des Artikels ist am 27. Oktober in der Sächsischen Zeitung erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.

Das aktuelle Tourtagebuch der Staatskapelle finden Sie hier.