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Hellerau bleibt anders

Der letzte Abend des "Tonlagen"-Festivals im Europäischen Zentrum der Künste gehörte – wie schon in vergangenen Jahren – den Clubgängern. Auch wenn der "Club Hellerau" nur einmal im Jahr seine Pforten öffnet (das darf sich gerne ändern), setzen die Veranstalter nicht auf austauschbare Partyatmosphäre sondern auf besondere Live-Acts. Stilistisch war Christian Prommer mit Band in seiner "Drumlesson" zwar nicht unbedingt mit dem darauf folgenden House-DJ Mike Huckaby verwandt, doch tanzbar waren sowohl die schlagzeuglastigen Jazz-Beats als auch das – auf Dauer ohne größere Höhepunkte angelegte – Set von Huckaby. Hier wie auch in manch anderem Konzert war das Haus allerdings nicht prall gefüllt – die Veranstalter verzeichnen einen Besucherrückgang um etwa 10%. Das lag weniger an der Qualität der Beiträge als vielmehr an der diesjährigen Schwierigkeit, mit deutlich verringerten Drittmitteln dennoch ein ansprechendes Festival zu gestalten. Dabei muss man dem EZKH zu Gute halten, dass trotzdem nicht dem Lockstoff Quote gefolgt wurde und man etwa zur Eröffnung mit dem  "Fernorchester" von Kötter/Seidl einen experimentellen und streitbaren Beitrag zeitgenössischer Kunst zeigte.

Hellerau im Pilz-Fieber – diesmal beim "Club Hellerau" mit Christian Prommer und Band (Foto: Klaus Gigga)

Das "Tonlagen-Festival" bleibt speziell und biedert sich nicht bei anderen derartigen Events an. Der Untertitel "Dresdner Festival der zeitgenössischen Musik" wirft gleichwohl angesichts der vergangenen Konzerte Fragen auf. Mit dem früheren von Udo Zimmermann lange geleitetem Festival an gleicher Stelle ist kaum mehr ein Vergleich zu ziehen, der Begriff "zeitgenössische Musik" wäre mit "aktueller Musik" besser in der Breite gefasst, in dem Hellerau auch Entwicklungen im Jazz, in der Weltmusik oder in genreübergreifenden Künsten zeigt. Der Mix der Stilrichtungen war aber in diesem Jahr durchaus profiliert, weil mit John Cage ein Komponist geehrt wurde, dessen Platz zwischen den Stühlen ebenso zu finden ist wie er auch ganz klar in der Tradition der zeitgenössischen Musik zu verorten ist.

Bassklarinette x 5 – Theo Nabicht und Kollegen (Foto: Klaus Gigga)

Das Festspielhaus erwies sich bei den "Tonlagen" wieder einmal als perfekter Aufführungsort gerade für solchermaßen inszenierte Veranstaltungen, die der Musik nicht nur frontalen Konzertcharakter zuweisen, sondern Licht, Raum, Bühne einbeziehen – nicht zuletzt wurden in diesem Jahr die Fähigkeiten des Publikums im Sitzen, Stehen, Liegen, Wandeln, Entspannen in der "Pilz-Bar" oder im Seitwärts-Sprung in die Film- und Radiokunst-Lounges ausgetestet, sogar Übernachtung war möglich und erwünscht, damit die I-Ging-Zeichen, Stoppuhren und Klavierpräparationen auch in die Träume dringen konnten. „Mit unserem Beitrag zum Cage-Jahr sind wir sehr zufrieden, das zeigte auch die Begeisterung der Besucher“, resümierte Dieter Jaenicke, Künstlerischer Leiter von HELLERAU – Europäisches Zentrum der Künste Dresden.

Um Cage herum wurde es bunt: Zeitgenössische Musik aus China faszinierte ebenso wie die hochemotionalen Experimente von Jani Christou – überragend vom Ensemble Courage interpretiert. Nik Bärtsch's Ronin war ein Ausflug in minmalistisch-ruhige Klangwelten, die Komponistenklasse Dresden, als Preisträger der Standortinitiative "Deutschland – Land der Ideen" geehrt, war ebenso vertreten wie das Dresdner Vokalensemble AUDITIVVOKAL, das sein fünfjähriges Bestehen mit einem überaus gelungenen Beweis feierte, dass sich Humor in der Musik vielschichtig und anspruchsvoll geben kann. Der zeitgenössischen Musik in Aserbaidschan galt ein weiterer Seitenblick hinaus in die Welt, und mit einem Orchesterkonzert mit Werken von John Cage gastierte die Dresdner Philharmonie in Hellerau. Großes Interesse galt kurz vor Festivalende einem Abend mit fünf Kontrabassklarinetten – im Surround-Sound entfalteten sich die Bass-Frequenzen dieses außergewöhnlichen Instrumentes – hier war ebenso "aufregende Entspannung" angesagt wie beim letzten Abend, bei dem tanzfreies Zuhören nahezu unmöglich war.

Zu hoffen ist, dass 2013 ein ähnlich offen-sympathisch gestaltetes Festival gelingt und auch das Genre Musiktheater wieder mit (mindestens) einem Beitrag vertreten ist. Die Einbeziehung der lokalen Szene ist gut, aber die internationale Strahlkraft hinein wie hinaus ist steigerungsfähig. Gespannt darf man sein, ob auch dann ein Jubilar im Mittelpunkt steht – die Hundertjährigen Benjamin Britten, René Leibowitz und Witold Lutoslawski stünden bereit… – Hellerau bleibt anders und hat mit dem Festival 2012 erneut bewiesen, dass es ein hervorragender Kunst-Ort ist – für Ideen, Prozess, Darstellung und Diskurs. Daran sollte nicht gerüttelt werden.