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Kopfkino, erdolcht.

Im Festspielhaus Hellerau wurde am Dienstag das „Tonlagen“-Festival für zeitgenössische Musik eröffnet. Angesichts des von mangelndem Zuschauerinteresse begleiteten Auftaktes fragt man sich, ob der am Vortag inszenierte Prolog "Open Cage" mit Dutzenden engagierter Schüler aus Meißen und Dresden, die sich in verschiedenen bunten und wunderbar erkenntnisreichen Performances dem Festival-Jubilar John Cage widmeten, nicht die bessere Eröffnung gewesen wäre. Verhalten undeutlich erschienen die Reden vor dem Eröffnungskonzert – doch der diesmal aus finanziellen Gründen abgespeckte Festivaljahrgang muss ja nicht mit einer Qualitätseinbuße einhergehen. Der festlich-bejahende Auftakt und das zwingende Bekenntnis zur Gegenwartsmusik war jedenfalls nicht deutlich zu spüren.

Endloser Bildschirm-Diskurs: "Fernorchester" von Seidl/Kötter (Bild: Klaus Gigga)

Vermutlich konnten viele Interessierte auch mit der Eröffnungsveranstaltung „Fernorchester“, zögerlich mit „Musiktheater“ untertitelt, von Daniel Kötter und Hannes Seidl zu wenig anfangen. Doch der Bekanntheitsgrad der beiden auf einschlägigen Festivals (zu denen ich Dresden bisher immer rechnete) vertretenen Künstler sagt bekanntlich nichts über die Größe aus. Nach dem Erlebnis des „Fernorchesters“ allerdings machte sich Enttäuschung und Ratlosigkeit im Publikum breit.

Dabei war der Ansatz, sofern man ihn in dem wortreichen Interview des Programmheftes begriffen hatte, gar nicht so unspannend: ein Stück über die Entstehung eines Stückes, der Prozess und Werdegang als Hauptthema. Das Umfeld einer Komposition, die Biografie des Komponisten oder eine wechselvolle Entstehungsgeschichte wirkt in die entstandenen Stücke hinein, der Blick hinter die Kulissen scheint also lohnend, um zu verstehen. Doch die Umsetzung geriet flau bis ärgerlich: Seidl und Kötter verloren sich in einem langatmigen Diskurs, in endlosen Videosequenzen palavernder Musiker (auch verbal vor der Frontalkamera auf der Höhe: das Ensemble Mosaik). Da war viel von Einsamkeit, Ausprobieren, Proben, Beginnen die Rede: die Monologe überlagerten sich, traten auf der Stelle. Es sind dies aber genau die Dinge, die vermutlich Musiker selbst sehr spannend finden, aber kaum jemanden interessieren, der um Musik zu hören ins Konzert gekommen ist. Langeweile machte sich breit, dabei hätte eine emotionale, körperliche Komponente ebenso erfrischend gewirkt wie ein Schuss Selbstironie; ein selbstorganisierter, überraschender Tritt in den Elfenbeinturm der so „en vogue“ geratenen und doch im Ergebnis verstaubten Konzeptkunst hätte Wunder gewirkt. Und man erhoffte die Wendung: schließlich traten die Musiker, ihrer 18 (!) Fernseher beraubt, doch nach und nach leibhaftig auf die Bühne und spielten Musik.

Diese allerdings geriet dann so gesichtslos, dass man sich fragte, warum es überhaupt des Diskurses bedurfte. Der Konsequenzfaden des Konzeptes riss dann endgültig, weil sich Seidl und Kötter nach 85minütiger Entstehungsgeschichte des Stückes, dass dann kein Stück war, nicht mehr damit auseinandersetzen wollten, wie denn das Stück zu beenden sei. Ein klassisches „Morendo al Niente“ aus einem Video von fussballspielenden Jungs vor dem Probenraum, dem Abgesang der beliebigen Neue-Musik-Phrasen, die wohl das Stück darstellen sollten sowie einem Fetzen einer Marschkapelle tat ein übriges, um das kaum aushaltbare Kopfkino abzurunden. Ein Abend, der sich letztlich selbst erdolchte und als Festivaleröffnung auf einem Abstellgleis landete, wenn er beispielgebend zeigen wollte, auf welchem Stand sich die zeitgenössische Musik befindet.