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Was für ein Jahrgang!

Sie werden gern in einem Atemzug genannt: Herbert Blomstedt und Kurt Masur. Dabei sind sie so unterschiedlich, wie Dirigenten nur sein können. Aber der eine war 1975 bis 1985 Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle und der andere leitete von 1967 bis 1972 die Dresdner Philharmonie – flugs werden sie bis heute oft als Dresdner vereinnahmt. Nicht weit weg von hier ist das ähnlich: Nachdem Kurt Masur 1998 nach rekordverdächtig langen 26 Jahren sein Amt als Gewandhauskapellmeister aufgeben sollte, folgte ihm ausgerechnet Herbert Blomstedt nach, der diesen Posten dann bis 2005 innehatte. Nachhaltig gelten dort beide als Leipziger Musikmatadore – so gesehen trennt sie ja doch weniger als sie verbindet. Das Licht der Welt erblickten die beiden sonst so grundverschiedenen Pultstars im Abstand von nur sieben Tagen.

Herbert Blomstedt wurde als Sohn schwedisch-amerikanischer Eltern am 11. Juli 1927 in Springfield, Massachusetts, geboren. Kurt Masur kam am 18. Juli 1927 im schlesischen Brieg zur Welt. Dieser Ort des großen Dichters Friedrich von Logau liegt heute in Polen und trägt den Namen Brzeg. Masur ist dort Ehrenbürger.

Einer, der wirklich gebürtiger Dresdner ist, folgte den beiden 85ern wenige Tage später und hat heute Geburtstag: Michael Gielen. Der allerdings machte seine Karriere überall in der Welt, nur nicht in seiner Geburtsstadt. Immerhin ist der Kosmopolit wiederholt als Gast nach Dresden zurückgekehrt, zuletzt 2008 für eine Lesung aus den Memoiren „Unbedingt Musik“ im Kleinen Haus des Staatsschauspiels. Doch seine Karriere machte er an der Staatsoper Wien, der Königlichen Oper Stockholm, beim Belgischen Nationalorchester Brüssel, an der Niederländischen Oper Amsterdam, während der berühmten „Ära Gielen“ an der Oper Frankfurt, beim BBC Symphony Orchestra London, dem Cincinnati Symphony Orchestra sowie dem SWR Sinfonieorchester. Aufgewachsen ist er in Argentinien, wohin seine Familie 1940 von Berlin aus geflohen ist, nach dem Weltkrieg wurde er maßgeblich in der Kulturmetropole Wien geprägt, wo seine Mutter als Schauspielerin und sein Vater als Burgtheater-Intendant tätig waren. Im Gegensatz zu manch anderem Maestro hat Michael Gielen auch als Komponist und Buchautor für Aufmerksamkeit gesorgt. Heute lebt er im Salzburger Land und fühlt sich zunehmend als Österreicher.

Kurt Masur, der trotz seines Wirkens als Chefdirigent des New York Philharmonic Orchestra (1991-2002), als Musikdirektor des London Philharmonic Orchestra (2000-2007) sowie als Chef des Orchestre National de France in Paris (2002-2008) nach wie vor in Leipzig zu Hause ist, gilt vielen Musikliebhabern als Initiator des Neuen Gewandhauses, das 1981 eröffnet worden ist, sowie als Moderator des '89er Herbstes. Seine Geburtsstadt machte den allenorts mit Honorationen geradezu überschütteten Musiker 1999 zum Ehrenbürger. Die Liste sonstiger Ehrungen und Auszeichnungen ist nahezu unüberschaubar. Ebenso die seiner Einspielungen und musikalischen Vorlieben von den Romantikern bis zur Moderne. Für die kommende Spielzeit ist er von der Dresdner Philharmonie als Artist in Residence verpflichtet worden, soll drei Konzerte in Dresden sowie zwei Gastspielreisen übernehmen. Wie es heißt, sei er nach seinem Sturz Ende April im Pariser Théâtre des Champs-Élysées wieder auf dem Weg der Besserung und wolle schon in zwei Tagen ein gemeinsames Mozart-Konzert mit seinem Sohn Ken-David in Tanglewood bestreiten.

Herbert Blomstedt, der ebenfalls nach wie vor als Gast in seinen einstigen Wirkungsstätten Dresden und Leipzig beliebt und gefragt ist, wechselte zwischen seinen sächsischen Verpflichtungen zehn Jahre lang nach Kalifornien, wo er ab 1985 Musikdirektor des San Francisco Symphony Orchestra war, und ging im Anschluss als Chefdirigent zum NDR Sinfonieorchester nach Hamburg. Der nach wie vor jungenhaft „alte Schwede“ lebt seit Jahren am Genfer See.

Mit Colin Davis, dem seit 1991 ersten und bislang einzigen Ehrendirigenten der Sächsischen Staatskapelle, stammt ein weiterer Maestro von Weltrang aus diesem auffälligen Jahrgang 1927. Ein Wiedersehen mit dem Briten gab es erst jüngst beim Sinfoniekonzert der Kapelle im Mai. Trotz eines Schwächeanfalls dirigierte er die Konzerte samt anschließender Reise zu Ende. Sein 85. Geburtstag steht für den 25. September bevor.

Dirigenten laufen sich ja bekanntlich selten über den Weg; ein Jahrgangstreffen der Pulthelden ist deshalb leider unwahrscheinlich. Wenn wir aber schon so viele Kollegen in einer Kolumne versammeln, seien nun noch einige Namen genannt von Jubilaren, die selbst Musikkenner nicht alle auf dem Schirm haben werden: Paul Angerer (* 16. Mai 1927) müsste unbedingt erwähnt werden; in den fünfziger Jahren Solobratschist der Wiener Symphoniker, komponierte er Konzerte und Kammermusik und dirigierte das von ihm gegründete Wiener Originalklangensemble "Concilium Musicum". Oder Serge Baudo, der Neffe des Cellisten Paul Tortelier: vor vier Tagen feierte er seinen 85. Geburtstag; der Franzose dirigierte an der Scala und in Aix-en-Provence, Wien, Berlin, Lyon und Prag. Oder Raymond Leppard, der seinen 85. am 11. August feiern wird. Vor sechzig Jahren debütierte er in der Wigmore Hall, zehn Jahre später in Glyndebourne. Erfolge feierte er an der Met, der New York City Opera und den Opern von Paris, Hamburg, Stockholm und Genf… 

Und da es nun schon einmal um Jubiläen geht, sei Sergiu Celibidache nicht vergessen. Dessen 100. beging die Musikwelt ebenfalls am 11. Juli. Der Rumäne, dessen Wirken für immer mit den Berliner Philharmonikern, dem Radio-Sinfonieorchester Stuttgart und schließlich mit den Münchner Philharmonikern verbunden bleiben wird, starb im August 1996 84jährig in der Nähe von Paris. Obwohl der liebevoll Celi genannte Dirigent Aufnahmen hasste – eine CD sei wie Sex mit einem Foto von Marilyn Monroe, soll er gesagt haben –, gibt es eine ganze Reihe hörenswerter Einspielungen, die unter seiner Leitung entstanden.

Von Herbert Blomstedt, Colin Davis, Michael Gielen, Kurt Masur, Raymond Leppard und Serge Baudo gibt es die auch. Genießen Sie die Musik dieser Jubilare, gönnen Sie sich einen guten Tropfen dazu – es muss ja nichts aus dem angeblich verwässerten Jahrgang 1927 sein….

Bis nächsten Freitag –
Michael Ernst