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„Bitte machen Sie sich schon mal frei.“

Sommerzeit, Reisezeit, Festspielzeit. Erfreuliches aus Salzburg, nicht Hugo von Hofmannsthals Mysterienspiel „Jedermann“ zur Eröffnung, sondern ein „Vorprogramm“, „Ouverture Spirituelle“; aufgeführt wurde vergangenen Freitag das Oratorium „Die Schöpfung“ von Joseph Haydn.

Dann doch, am Tag darauf, das erneuerte „Spiel vom Leben und Sterben des reichen Mannes“, uraufgeführt im Berliner Zirkus Schumann, am 1. Dezember 1911, von Hofmannsthal dann ab 1920, ebenfalls, zunächst auch in der Inszenierung von Max Reinhardt, jährlich bei den Salzburger Festspielen auf den Stufen des Domes zelebriert. In jedem Jahr nun dieser Glaubenszirkus in „künstlich nachempfundener Sprache“, wie Georg Hensel in seinem wunderbaren Schauspielführer „Spielplan“ schreibt und auch noch darauf hinweist, dass es sich hier um „ein sakrales Spiel des Glaubens“ handele, den „Hofmannsthal selbst mehr respektvoll als gläubig, dem Volk als Weg des Heils verkündet.“

Spirituell ging es dann weiter am Eröffnungswochenende bei den Nobelfestspielen mit starker Beteiligung aus Dresden. Zweimal wurde im Salzburger Mozarteum Händels Oratorium „Der Messias“ in der Fassung von Mozart mit dem Dresdner Kammerchor aufgeführt, dessen Leistung, wie zu vernehmen ist, höchste Anerkennung erfuhr.

Die sommerlichen Festspiele in Bayreuth haben nach gar nicht begonnen und schon gibt’s Krach. Man wollte es vielleicht ja auch PR-mäßig wirklich etwas krachen lassen zur Eröffnung mit Wagners Oper „Der fliegende Holländer“. Zum ersten Mal ein Sänger aus Russland in einer Titelpartie, nicht irgendeiner, einer mit Vergangenheit, das macht sich gut, er kommt zunächst aus dem Moskauer musikalischen Untergrund, Evgeny Nikitin, Gesangsstudium und Metal-Band-Musiker. Da hat er sich stechen lassen und ganz unpolitisch motiviert auch Nazisymbole dabei auf die Haut bekommen. Inzwischen mit Blumenmotiven überdeckt, was ja auch nicht einer gewissen Pikanterie entbehrt. Das ist in Bayreuth aber alles verständlicherweise nicht so gut angekommen. Künftig wird es nicht nur heißen, Vorsingen, sondern auch: Ausziehen! Nikitin ist abgereist, ein Nachfolger für die Premiere morgen ist gefunden. Einspringen in Bayreuth, wer träumt nicht davon…

Alle weiteren Mitwirkenden, Christian Thielemann etwa am Pult und Christa Mayer als Mary, um sich mal nur um Dresdner zu sorgen, sind sicher über jeden Stichverdacht erhaben. Thielemann, so liest man in einer Agenturmeldung zum peinlichen Vorfall, stehe „für professionelle Arbeit auf höchstem Niveau“, der Regisseur Philipp Gloger aber bange „um die künstlerische Unversehrtheit seiner Inszenierung“. Bislang, so wird auch um die Welt gemeldet, machte er einen „gelassenen Eindruck, er schien gut vorbereitet.“ Na so was! Muss man das schon erwähnen, wenn ein Regisseur auf dem grünen Hügel den Eindruck erweckt, gut vorbereitet zu sein?

Na dann, schönen Sommer. Schöne Reisezeit, vor allem, schönen Festspielsommer.
Herzlich, bis Montag in drei Wochen,
Boris Gruhl