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Himmelspaläste

Nach dem Ende der Spielzeit 2011/12 steht die Philharmonie auf der Straße. Ihre alt-achtundsechziger Spielstätte macht dicht, soll Baustelle werden und irgendwann als wohlklingender Weinberg teuer wiedererstehen. Über zwischenzeitliche Kostensteigerungen wurden noch gar keine Wetten laut? Die kommunalen Kaninchen sitzen stumm vor der Schlange und glauben tatsächlich an einen Wiedereröffnungstermin im Jahr 2015?

Wer's glaubt, glaubt auch an Dresden.

Das letzte Konzert der Dresdner Philharmonie im sogenannten Festsaal des Kulturpalastes war ein langer, langer Blick auf die Vergangenheit des Bürgerorchesters. Viereinhalb Stunden Dvorák vor vollem Haus. Wie schon zur Eröffnung, als Chefdirigent Kurt Masur am Pult stand, ließ es sich auch der derzeitige Amtsinhaber Michael Sanderling nicht nehmen, den Ausklang zur Chefsache zu erklären.

Nur wenige Tage später war auch das letzte Saisonkonzert der Sächsischen Staatskapelle in der Semperoper mit einem Abschied verbunden. Keine Sorge, der Touristentempel wird bleiben, noch so eine Baustelle könnte man sich in Sachsen gar nicht leisten. Nein, dieser Abschied galt der Capell-Compositrice Lera Auerbach, die ihre äußerst schaffensreiche Dresden-Residenz mit einer weiteren Uraufführung beendete. Nach ihrem Streichquartett „Songs of Alkonost“ und dem Requiem „Dresden – Ode an den Frieden“ gab es nun als Quasi-Fortsetzung der Februar-Andacht das Orchesterstück „Post silentium“. Es ist in derselben Besetzung gehalten wie die 6. Sinfonie von Sergej Prokofjew, die dieses 12. Symphoniekonzert krönte. An dessen Anfang freilich stand ein Blick nach vorn: Unter der musikalischen Leitung von Sakari Oramo interpretierten Lisa Batiashvili und Truls Mørk das Doppelkonzert für Violine und Violoncello von Johannes Brahms – eine gelungener Einstand der künftigen Capell-Virtuosin. Abschied kann also auch ein mit Wiederkehr verbundener Blick nach vorn sein.

Doch bleiben wir in der Gegenwart: „Die Wohnstatt der Musik ist der Himmel“ heißt es im Internet-Auftritt der Philharmonie – mit dieser indischen Weisheit übt sich das Management des Klangkörpers derzeit in Sachen Realitätssinn. Ein Ruf der Verzweifelten ist es hoffentlich – noch – nicht. Möge die himmlische Musik recht bald wieder eine angemessene irdische Heimstatt finden, auch in Dresden!

Bis nächsten Freitag –

Michael Ernst