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Achtarmiger Klanggott

Ein oberflächlicher Beobachter registriert Freundschaftsbändchen, Tattoo, schulterfreies Kleid – diese Musiker geben sich äußerlich unbeeindruckt von den Konventionen der Klassikwelt. Wer ihrem Spiel zuhört, begreift, dass es für das Pavel Haas Quartett mehr ist als eine Attitüde, Althergebrachtes zu hinterfragen. Es ist der Ausgangspunkt ihres gemeinsamen Musizierens. Mit Glück erwachsen daraus neue Welten.

Achtung, macht abhängig: das Pavel Haas Quartett aus Prag (Foto: Marco Borggreve)

Am Freitag war so ein Glückstag: zum Meisterkonzert auf Schloß Albrechtsberg präsentierten Veronika Jaruskova, Eva Karova, Pavel Nikl und Peter Jarusek zu Beginn behutsam das erste Quartett ihres Namensgebers. Schwelgten in Bedrich Smetanas biografischem Bilderbogen „Aus meinem Leben“. Und zelebrierten zum Schluss Franz Schuberts Streichquartett Nr. 14, „Der Tod und das Mädchen“, mit einer Unerbittlichkeit, die den Saal entrückte. Kein Mucks war zu hören, lautloses Atemholen schien allenfalls zwischen den Sätzen erlaubt; Konzentration pur, während die Musik organisch weiter- und weiterwuchs. Und wie grundsätzlich die Partitur zerlegt worden war, um der Musik ins Herz zu schauen! Das Schubert-Andante etwa: es genügte, die monotone Bratschenstimme dynamisch eine Winzigkeit hervortreten zu lassen, damit sich der Saal in ein einziges, angstvoll pochendes Herz verwandelte. Nicht mehr die vier Musiker hörte man hier, die sich – so Goethe – vernünftig miteinander unterhalten. Nein, eine einzige, achtarmige Gottheit hielt das Publikum im Bann, die den Klangstrom beliebig formte und das Tempo bisweilen überraschend aushebelte.
Da überdies die Dynamikpalette vom nur noch zu ahnenden Silberschein bis ins brachiale Wüten nicht ohne Klangrisiko ausgereizt war, zum Schluss eine Verbraucherwarnung: wer dieses leidenschaftliche Quartett einmal hört, läuft höchste Gefahr, sofort abhängig zu werden, ihm womöglich nachzureisen – und das bei einem Tourplan, der allein diese Saison New York, Paris, Wien, London, Stockholm, Madrid und Tokio einschloss.

Eine Textfassung des Artikels ist am 21. Mai in der Sächsischen Zeitung erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.