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Lebendige Historie

Herbert Blomstedts Zeit als Chefdirigent der Staatskapelle Dresden ist unvergessen. Von 1975 bis 1985 stand der in den USA geborene Schwede an der Spitze des Orchesters – und setzte, trotz politisch bewegter Zeiten, in vielfacher Hinsicht Maßstäbe. Mit einem Repertoire, das neben den Dresdner »Hausgöttern« auch das barocke Kapellerbe sowie zahlreiche Ur- und Erstaufführungen umfasste, war Blomstedts der bis dahin wohl vielseitigste Chef des Orchesters. Mit über 250 Gastkonzerten führte er außerdem die Tourneetätigkeit auf einen neuen Höhepunkt, und auch die Zahl der 130 gemeinsamen Schallplattenaufnahmen – darunter sämtliche Symphonien von Schubert und Beethoven – wurde von keinem späteren Chef erreicht. Wichtiger als diese Zahlen war aber die ethische Komponente seines Dresdner Wirkens. »Musik war in der DDR so etwas wie ein Atemloch in einem sonst sauerstofflosen Raum«, erinnert er sich heute. »Hier konnte man seine Gefühle ausleben, Freiheit atmen – sowohl die Musiker als auch das Publikum. Die Menschen sind zu den Konzerten gekommen wie zu einem Fest, denn der Alltag war grau … Aber im Konzert herrschte Freiheit.«

Bis heute die seit Fritz Busch längste Amtszeit in Dresden: der Dirigent Herbert Blomstedt (Foto: Matthias Creutziger)

Als »Feste« der besonderen Art sind auch die »Palmsonntags-konzerte« unter Blomstedts Leitung in Erinnerung. Nicht weniger als neun Mal leitete Blomstedt bislang dieses traditionsreiche Konzert, das seit seiner Einrichtung unter dem einstigen Hofkapellmeister Francesco Morlacchi 1827 fester Bestandteil einer jeden Kapellsaison ist und ursprünglich einem sozialen Gedanken – der Unterstützung der Witwen und Waisen verstorbener Kapellmusiker – verpflichtet war. Noch vor Beginn seiner offiziellen Amtszeit dirigierte Blomstedt 1971 zu Palmsonntag Beethovens neunte Symphonie und bekannte sich damit zur besonderen Tradition dieses Werkes am Sonntag vor Ostern: Bereits 1846 hatte Morlacchis Nachfolger Richard Wagner dem damals noch heftig umstrittenen Werk zu einem deutschlandweiten Erfolg verholfen und damit eine Aufführungstradition der Neunten auch in den »Palmsonntagskonzerten« begründet.

Regelmäßig dirigierte Blomstedt in den 1970er und 80er Jahren zu diesem Anlass die Neunte – besonders geschichtsträchtig war die Aufführung im Jahr 1985, als die Staatskapelle mit diesem Werk ihr erstes Konzert in der wenige Monate zuvor wiedereröffneten Semperoper gab. Das Konzert markierte bereits das Ende von Blomstedts erfolgreicher Chefzeit: Noch im selben Jahr verließ er Dresden in Richtung San Francisco – und konnte schon damals auf die (noch heute) längste Dresdner Chefzeit seit Fritz Busch zurückblicken. Auf San Francisco folgte Hamburg, und 1998 kehrte Blomstedt – die politische Wende war inzwischen vollzogen – für sieben Jahre als Leipziger Gewandhauskapellmeister in sächsische Gefilde zurück.

Der Staatskapelle ist er bis heute verbunden geblieben. Seine inzwischen wieder alljährlichen »Gastspiele« am Pult des Orchesters gehören zu den Höhepunkten jeder Kapellspielzeit. 2007 – im Jahr seines 80. Geburtstages – dirigierte Blomstedt erneut eine »Palmsonntags-Neunte«; im Oktober 2009 leitete er die Staatskapelle nach umjubelten Konzerten in der Semperoper auch wieder auf Tournee, mit einigen Konzerten in Spanien.

Jubiläum im Jahr des 85. Geburtstags

In diesem Jahr nun, in dem Blomstedts 85. Geburtstag ansteht, feiert er auch hinsichtlich der »Palmsonntagskonzerte« ein Jubiläum: Zum zehnten Mal hat er die Leitung dieses Konzertes inne, wofür er diesmal nicht Beethoven, sondern Werke von Johannes Brahms und Anton Bruckner ausgewählt hat. Neben Brahms‘ »Schicksalslied«, das die Staatskapelle seit 1919 nicht mehr gespielt hat und an dessen Aufführung auch der Sächsische Staatsopernchor Dresden beteiligt ist, dirigiert Blomstedt außerdem Bruckners fünfte Symphonie. Mit diesem Werk hat die Staatskapelle bereits 1937 Aufnahmegeschichte geschrieben, als sie die damals frisch veröffentlichte »Originalfassung« unter der Leitung von Karl Böhm als erstes Orchester überhaupt einspielte. Die bislang letzte Kapellaufführung der Symphonie fand 1999 unter Giuseppe Sinopoli statt – im damaligen »Palmsonntagskonzert«. Auch Herbert Blomstedt dirigierte die Fünfte bereits in Dresden, und zwar 1977 in einem »regulären« Abonnementkonzert.

Blomstedt führt in diesem Konzert also Brahms und Bruckner zusammen, die von ihren Anhängern lange zu Antipoden erklärt wurden. Auch dies entspricht Blomstedts menschenverbindender Art. Nach den Konzerten in der Semperoper reist er mit der Staatskapelle nach Monte Carlo, um die fünfte Symphonie dort auch im Rahmen eines Bruckner-Zyklus‘ beim Festival »Printemps des Arts« aufzuführen.

8. Symphoniekonzert
Sonntag, 1. April 2012, 20 Uhr
Montag, 2. April 2012, 20 Uhr
Semperoper Dresden

Johannes Brahms
»Schicksalslied« für Chor und Orchester op. 54

Anton Bruckner
Symphonie Nr. 5 B-Dur WAB 105

Kostenlose Einführungen durch den Konzertdramaturgen jeweils 45 Minuten vor Konzertbeginn im Opernkeller der Semperoper