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Pfingstwunder im Februar

"Altersstil" – mit nicht einmal 30 Jahren hat Lang Lang zu einer gereiften Musikauffassung gefunden (Foto: Matthias Creutziger)

Wann immer ein Klassik-Künstler im Mega-Publikumserfolg badet, werden einige Musikkritiker misstrauisch. Sie hören dann genauer hin: wie klingt das Geigenspiel des feschen Jünglings mit dem blonden Pferdeschwanz wirklich? Der Pianist Lang Lang, Superstar der Klavierwelt, war da keine Ausnahme. Mit dem Mitschnitt seines Carnegie-Hall-Debüts 2003 katapultierte sich der gerade Einundzwanzigjährige in die vordersten Ränge sämtlicher Klassikcharts, und wie auf Kommando jaulten arrivierte Rezensenten auf: dieses Klaviergedonner im Liszt, schrecklich aufgeblasen! Und Schumanns Träumerei als Zugabe? Wie kitschig. Dass Lang Lang nebenher bei den Olympischen Spielen, als Solist eines virtuellen "Youtube Symphony Orchestra" auftrat oder Musik für ein Autorennspiel aufnahm, bestärkte die Kritiker nur noch: überschätzt, der Knabe.

Selbstverständlich war auch die Semperoper am Sonntag bis auf den letzten Platz im vierten Rang ausverkauft, als der Chinese Dresden auf Einladung der Staatskapelle mit einem Solokonzert (und mit neuer Frisur) beehrte. Es dürfte das erste Mal gewesen sein, dass die Künstlerbiografie sechs Seiten des Programmhefts füllte; die gespielten Werke rückten in den Hintergrund. Jubelnder Beifall schon zum allerersten Einzug des Gladiators; munter wurden Handyfotos geschossen. Na, das könnte ja was werden im altehrwürdigen Haus!

Was dann tatsächlich eintrat, war ein Pfingstwunder. Da setzt sich ein Pianist ans Klavier, plötzlich herrscht Stille, und es erklingt unprätentiös und schlicht Johann Sebastian Bachs Partita Nr. 1 B-Dur. Fein stufte Lang Lang die Themen bis ins Kleinste ab, ohne die große Linie aus dem Blick zu verlieren. Sicher lässt sich diskutieren, ob seine Art, bestimmte Motive in Artikulation und Dynamik stark zu variieren oder die Tempi kurz vor Schluss stark zu bremsen, nicht eine Spur zu aufgesetzt ist. Aber glaubhaft war seine Interpretation in jedem Fall, und der Eindruck einer geschlossenen, ja gereiften Musikauffassung wuchs mit jedem Werk des dramaturgisch klug und nicht zu vordergründig geplanten Konzerts. Nach der donnernden c-Moll-Etüde Frédéric Chopins explodierte die Oper – Standing Ovations, Zugabe, alles wie immer bei Lang Lang. Zu Recht!

Eine Textfassung des Artikels ist am 28. Februar in der Sächsischen Zeitung erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.