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Entspanntes Treibenlassen

Mit Jazz in der Semperoper ist es nach diesem Konzert aus – oder doch nicht? Für kommenden Dienstag hat die Oper zum Pressegespräch geladen (Fotos: M. Creutziger)

Ein Jazzer aus einer anderen Zeit mag Tomasz Stańko sein: ein halbes Jahrhundert ist es schon her, dass er seine erste eigene Jazzband "The Jazz Darings" gründete. Aber in den musikalischen Welten, die er mit seinen Formationen durchstreift, besteht kein Infektionsrisiko durch die süßsentimentale Krankheit gestern. Das Immunsystem seiner Begleiter – in der augenblicklichen Quartettformation sind das der stilistisch blitzschnell wandelbare Dominik Wania an den Tasten, Slawomir Kurkiewicz am Bass und der in Jyväskylä und Helsinki am Schlagzeug ausgebildete Olavi Louhivuori – ist nämlich glänzend in Form. Die drei "jungen Wilden" halten die Kompositionen des Altmeisters munter am Kochen und spielen sich die Themenbälle mitunter so ausgelassen zu, dass Stańko sich ab und an zum stillen Genießen Richtung Bühnenrand zurückziehen kann.

Die vordergründig vorwärtsdrängenden Passagen, in denen Kurkiewiczs Finger über die Saiten wirbeln und Wania dem Steinway rasend schnelle Repetitionen oder harmonisch immer ausschweifendere Tonkreisel entlockt, sind durch innigere ausbalanciert. Dann und wann dünnt der Strom aus; dann fischen die Musiker einzelne Themen und Motive heraus, wenden sie hin und her – und werfen sie wieder in den strudelnden Klangfluss.

"Ich will gar nichts mehr," soll Günter Eich kurz vor seinem Tod zu seiner Frau gesagt haben, "ich will nur noch spielen." Sein Freund Wolfgang Hildesheimer las das als Ausdruck eines Scheiterns an der Welt. Hört man Tomasz Stańko zu, meint man eine optimistischere Haltung aus der Musik herauszuspüren. Gefragt, ob er noch daran glaube, mit Kunst die Welt verändern zu können, verneinte der Trompeter dennoch. Ihm sei wichtig, "spielend nach dem Leben zu suchen". Ihn dabei ein Stück begleiten zu dürfen, war für das Publikum in der nicht ausverkauften Oper erkennbarer Gewinn: herzlicher Applaus, eine dann doch ziemlich sentimental-traurige Zugabe. Es wäre ein Armutszeugnis, wenn die Semperoper sich und uns diese gelegentlichen Abende des entspannten Treibenlassens in andere Klangwelten versagte.

Eine Textfassung des Artikels ist am 23. Februar in der Sächsischen Zeitung erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.