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Auf der Stuhlkante

Wer 2009 beim Moritzburg-Festival vorbeischaute, lernte ihn kennen: der damals gerade dreißigjährige Pianist Antti Siirala verzauberte das Publikum damals mit vertieften, offenbar aber auch mikroskopisch genau kalkulierten Interpretationen – und das sozusagen, ohne mit der Wimper zu zucken. Unterkühlt erscheint sein Spiel jedoch nur äußerlich, einfach da Siirala seine Spieltechnik extrem bewegungsoptimiert hält und auf kapriziöse Mätzchen komplett verzichtet.

Zweimal Zwinkern ist für ihn ein emotionaler Ausbruch: der Pianist Antti Siirala (Foto: PR)

Sein Debüt bei der Dresdner Philharmonie gab Siirala am Samstag mit dem Schumann-Konzert vor ausverkauftem Haus, und zwar nach der Pause; die sonst übliche Konzertreihenfolge war nämlich genau umgekehrt worden und schnurrte nun chronologisch nach Kompositionsdatum ab. Zu Beginn – als weiterer, sehnlich erwarteter Teilschritt des Beethoven-Zyklus‘ der Philharmonie unter dem Ersten Gastdirigenten Markus Poschner – die Achte Sinfonie, zum Schluss dann Peter Tschaikowskis "Romeo und Julia"-Ouvertüre.

Das Programmheft schlug nüchtern vor, die Komposition des jungen Tschaikowski vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Probleme zu verstehen. Diese Verkürzung würde dem Werk, das die enorme Sprengkraft einer "Symphonie Fantastique" in kaum fünfundzwanzig Minuten packt, nicht gerecht. Poschner ließ hier dem Orchester lieber die Zügel schießen. Den Musikern reichte die Zeit für eine bildgewaltige Rundreise durch Veroneser Zypressenhaine im Abendlicht; wilde Verfolgungen zu Pferde in blitzdurchzuckter Nacht und die tränenreiche Umarmung des Liebespaars in Großaufnahme und Zeitlupe – bis der Kulturpalast-Saal kochte!

Eine gelungene Abrundung also eines Abends, der schon mit einer dynamisch federnden Lesart der oft unterschätzten "Achten" vielversprechend begann. Poschner dirigierte auswendig, das Orchester – aufmerksam und quasi auf der Stuhlkante sitzend – zeichnete die harschen Brüche mit fast bissiger Genauigkeit nach. Und dann Siiralas reifglitzernder Schumann, bei dem man doch an vielen Stellen das pochende Herz unter dem Eis erahnen konnte: der Höhepunkt des 3. Philharmonischen Konzerts, ein Höhepunkt auch der ganzen bisherigen Spielzeit.