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„Der macht aber viel moderne Musik!“

Hereinspaziert, Ohren aufgesperrt – eine ganz neue Welt erwartet den Besucher in Zwickau (Foto: M. M.)

Lutz de Veer, nach zehn Jahren als Erster Kapellmeister in Hannover sind Sie mit der Spielzeit 2010/11 auf die GMD-Stelle an das Theater Plauen / Zwickau gewechselt. Sicher nicht nur, was das Repertoire betrifft, eine Riesenumstellung…

Sieht sich als Handwerker: der neue GMD Lutz de Veer (Foto: Thilo Nass)

Ich hatte den Wunsch, den nächsten Schritt zu gehen. In Hannover habe ich – vor allem im Opernbereich – über 500 Vorstellungen in über 40 Produktionen dirigiert. Es war eine schöne, lehrreiche Zeit. Mit der GMD-Stelle kommt nun auch die Hinwendung zum Konzertbereich. Statt das vorgegebene Repertoire zu dirigieren, kann ich jetzt meine eigenen „Wunschzettel“ schreiben und konzentrierter an einzelnen Projekten arbeiten.

Immerhin hat Ihnen die letzte Fusion hier ein 81 Mann starkes Orchester hinterlassen.

Ein großes Potential, worüber ich im Moment auch sehr glücklich bin. Wir haben z.B. gerade Mahlers Neunte aus den eigenen Reihen besetzt. Aber der Schein trügt, denn es gibt nur 66 Planstellen, d.h. die Musiker haben sich solidarisch gezeigt und durch Gehaltsverzicht Kündigungen verhindert. Sie spielen in einem speziellen Haustarifvertrag, um mit dem vorhandenen Budget alle Musiker zu halten. Stellen von ausscheidenden Musikern sollen möglichst nicht wieder besetzt werden, was zu einer zunehmenden Überalterung führt. Wir müssen die Politiker immer wieder überzeugen, nicht noch weiter zu kürzen, weil dann einfach keine Voraussetzungen für eine – ja auch von ihnen immer in Stellenausschreibungen gewünschte – positive künstlerische Entwicklung gegeben sind.

Welches Publikum haben Sie vorgefunden, und was haben Sie repertoireseitig eventuell verändert?

Inzwischen habe ich das Publikum schon sehr gut kennengelernt. Die hiesigen Zuhörer sind sicher überwiegend „kulinarisch“ der Klassik und Romantik zugewandt. Ich habe versucht, eine sachte Verschiebung ins 20. Jahrhundert vorzunehmen, worauf der Eindruck entstand: „Der macht aber viel moderne Musik!“ Als neuer GMD möchte ich das Publikum natürlich erst einmal erobern, Sympathie und Vertrauen schaffen und auf dieser Grundlage auch neue Welten eröffnen. Als Reaktion höre ich öfter: „Als wir das Programm gelesen hatten, waren wir skeptisch, aber hinterher doch ganz begeistert.“

Das gibt mir das Stichwort in der "Neuen Welt", dem Zwickauer Spielort, habe ich unglaublich viele junge Leute im Konzert gesehen! Eine Zwickauer Besonderheit?

Es ist in der Tat interessant, wie unterschiedlich die Publikumsstruktur in Zwickau und Plauen ist! Das Konzertpublikum an meinem Wohnort Zwickau ist wirklich viel jünger. In beiden Städten gibt es ein Konservatorium, also viele junge Menschen, die selbst ein Instrument erlernen. Den Kontakt dahin will ich unbedingt ausbauen. Es gab bereits die Mitwirkung einiger Schüler in einem unserer Philharmonischen Konzerte – ein Riesenerfolg.

Plauen ist zurückhaltender, konservativer?

In Plauen bin ich mit den Auslastungszahlen im Moment nicht zufrieden. Wir spielen die Konzerte stets zwei Mal, in einem nicht sehr großen Saal. Da muss von unserer Seite noch viel mehr investiert werden, um die jungen Leute zu gewinnen. Die Türen des Theaters möchte ich für Probenbesuche öffnen, um Schwellenängste abzubauen. Außerdem wünsche ich mir die Einbeziehung von Theaterbesuchen in den Lehrplan der Schulen. Die Schulklassen gehen z.B. gemeinsam in den Zoo oder zum Sport, warum nicht auch selbstverständlich zu einer Theateraufführung?

Wie hat sich Ihre tägliche Arbeit verändert, jetzt da Sie in der Provinz, in "Fernost" dirigieren?

Wenngleich keine sterbende, so doch eine schrumpfende Stadt: Zwickau verlor nach der Wende ein Viertel seiner Einwohner (Foto: M. Morgenstern)

Als GMD "dirigiert man auch", aber es gibt eben viele andere Dinge, die einem auf die Schultern geladen werden. Es ist eine Herausforderung für mich, Städte wie Zwickau oder Plauen mit Musik zu beleben. Schnell ist der Kreis der Leute abgeschritten, die sich für Kunst begeistern, da muss viel persönliche Fürsorge an den Tag gelegt werden. Vor kurzem folgte ich einer Einladung des Plauener Fördervereins – eine aufschlussreiche Veranstaltung für mich mit vielen neuen Erkenntnissen.
Es geht hier in der "Provinz" vor allem darum, Kunst für die Region zu machen. Klar, jeder schielt auch auf überregionale Aufmerksamkeit; aber meine Erfahrung ist, dass man sich dafür vor Ort nicht viel kaufen kann. Wenn also durch verfehlte Spielplanpolitik das Publikum wegbleibt, hat man ein echtes Problem, denn ein anderes Publikum haben Sie nicht und es ist meines Erachtens auch nicht Sinn der Sache, ein treues Stammpublikum zu verlieren.

Wenn man etwa die Generation Ihres Lehrers Klauspeter Seibel betrachtet: da begann man die Karriere als Korrepetitor an kleinen Häusern, dann an größeren, dann vielleicht eine GMD-Stelle an einem kleinen Haus plus Gastdirigate an größeren… Täusche ich mich, oder überspringen Ihre jungen Kollegen, die Sie ja auch vom Unterrichten kennen, heute gern einmal ein paar dieser Stufen?

Es gibt die zwei grundsätzlich unterschiedlichen Wege: den einen über gewonnene Wettbewerbe, dazu unbedingt eine renommierte Agentur, die aufspringt und einen gleich an die größeren Adressen vermittelt oder eben den von meinem Lehrer sogenannten „Strampelweg“. Für mich gab es nur die zweite Variante, weil ich als junger Mann immer dachte: „Was habe ich mit Mitte zwanzig an der Hamburger Staatsoper zu suchen?“ Dieses "step by step" hat durchaus Vorteile. Dass eine Aufführung gut über die Bühne geht, hat neben aller Inspiration zuerst etwas mit Handwerk zu tun. Als derjenige, der selber den langen Weg gegangen ist, bin ich sehr froh mit Mitte vierzig nun eine GMD-Stelle bekommen zu haben.

Ihr Vertrag ist erst einmal für drei Jahre geschlossen – keine lange Zeit…

… aber mit der Option meinerseits, noch ein Jahr dranzuhängen. Ich wurde hier sehr warmherzig begrüßt und der Einstieg bei den Konzerten und den Opernproduktionen war jedenfalls erfolgreich. Die Besonderheiten eines fusionierten Theaters, die zwei Städte, die verschiedenen Spielorte, die Struktur des Orchesters, damit musste ich mich erst einmal vertraut machen. Nun ist die Basis für eine kontinuierliche und fruchtbare Arbeit geschaffen – Verlängerung nicht ausgeschlossen…

Konzertplan des Theaters Plauen Zwickau in der Spielzeit 2011-2012