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„Ich muss mich für die künstlerische Linie verantwortlich fühlen können“

Herr Theis, warum lassen Sie Ihren Vertrag an der Staatsoperette 2013 auslaufen?

Ich habe meine Entscheidung tatsächlich nicht getroffen, weil ich eine Option in der Tasche habe, sondern um für mich persönlich wichtige Dinge entwickeln zu können. In unserem Berufsstand gibt es, was soziale Sicherheit betrifft, verschiedene Ebenen. Ein Theater hat künstlerisches Personal wie Orchester oder Chor, das sich in großer sozialer Sicherheit befindet, und andere, die einfach damit leben müssen, dass Vertragsverhältnisse gewollt oder ungewollt enden, wie Sänger oder auch Chefdirigenten. Subjektiv ist mir die Freiheit des künstlerischen Denkens und Handelns wichtiger, als ein Vertrag nach 2013 um des Vertrags willen. Mich verunsichert es nicht, vorerst keine andere Festanstellung in Aussicht zu haben.

"Schau’n mer mal!" (Foto: René Gaens)

Zu diesem Zeitpunkt zu erklären, dass Sie Ihren Vertrag nicht verlängern wollen: hat das inhaltliche Gründe? Aus dem Ensemble war zu hören, dass Sie mit der künstlerischen Richtung des Hauses zuletzt offenkundig nicht mehr einverstanden waren.

Zu diesem Thema muss ich dann doch etwas ausholen. Ich kam 2003 hierher; an ein Haus, das ich persönlich in einem Zustand vorfand, das mir einen Entscheidungsprozess abverlangte, ob ich das machen will oder nicht. Ich habe mich damals ernsthaft gefragt: kann man dieses Haus retten und was kann ich dazu beitragen? Damals wollte man das Haus ja bekanntlich schließen – insofern kann man nicht sagen, alles sei 2003 wunderbar gewesen. Ich las von den Schließungsplänen in der Zeitung – und dachte: schau’n wir mal. In den ersten Jahren habe ich dann versucht, die musikalische Grundsubstanz zu stabilisieren und in der Folge auf eine andere Qualitätsstufe zu stellen.

Auch das künstlerische Personal war durch Ihre anspruchsvolle Herangehensweise abseits der ausgetretenen Repertoirepraxis zeitweise verunsichert.

Ja, aber diese Verunsicherung hat sich in den folgenden Jahren positiviert. Auch die Akzeptanz in der Stadt ist etwas gestiegen, zumindest hat man wahrgenommen, dass in Leuben etwas in Bewegung gekommen ist. In der Folge hat sich im Bereich der Gastspiele, der Tonträger viel getan. Tonträgerproduktionen gab es meines Wissens vor 2003 gar nicht und die Destinationen bei Gastspielen wurden zusehendes repräsentativer. Das sehe ich einmal als Erfolg des Hauses, aber auch persönlich als einen meiner Arbeit. Vertraglich bin ich zur Einstudierung von zwei Premieren pro Jahr verpflichtet; diese Arbeit hat sich naturgemäß inhaltlich im Kernbereich des Genres bewegt und ließ mir wenig Möglichkeit, substantiell am Ensemble zu arbeiten. Ich merkte: ich brauchte Projekte, mit denen ich die Sänger, die Instrumentalisten nachhaltiger fördern kann! Deshalb ist die Tonträgerarbeit, die ich auch für die Reputation des Hauses als sehr wichtig erachte, auf Grundlage meines persönlichen Engagements entstanden. Zu einer derartigen Tätigkeit bin ich vertraglich nicht verpflichtet, weshalb ich seitens der Staatsoperette in all den Jahren keinerlei Honorar erhielt. Ich sah diese für das Haus sehr neue und spezifische Arbeit als ein notwendiges künstlerisch-pädagogisches Projekt zur Weiterentwicklung an.

An bestimmten Klangfeinheiten intensiv zu feilen, sich auch über grundsätzliche inhaltliche Richtungen Gedanken machen – sind Sie mit diesen Ideen auf offene Ohren gestoßen?

Dass ich versuchte und ja auch noch versuche, die musikalische Qualität an unserem Haus ständig weiter zu entwickeln, wurde sicherlich auch intern anerkannt. Meine Meinung, nach der wir noch einen weiten Weg zu einem wirklichen Qualitätshaus haben, wurde allerdings nicht gern geteilt und auch teilweise meine Vorstellungen, wie man dorthin kommen kann. Ich habe auch bemerkt, dass mein persönliches Engagement teilweise nicht so viel Zuspruch und Anerkennung fand, wie ich eigentlich erwarten hätte dürfen. Ich war überrascht, dass es an der Staatsoperette Leute gab, die Ideen wie Tonträgerproduktion oder auch Gastspiele z.B. mit RadioMusiken im Zusammenhang der Profilbildung für das Haus über die Stadtgrenzen hinaus in Frage stellen.

"An welchem Kunstideal soll sich die Staatsoperette orientieren? Welches Publikum werden vergleichbare Häuser in Zukunft erreichen? Solchen Fragen wollte ich mich annähern" ("Weihnachtsshow", Foto: Stephan Floß)

Haben Sie außerhalb des Hauses in der Dresdner Kulturszene Aufmerksamkeit und Anerkennung für diesen steinigen Weg bekommen?

In Dresden lebe ich in einem Umfeld, in dem ich für gewisse Dinge wenige Ansprechpartner gefunden habe. Ich habe in all den Jahren immer in kunst- und musiksoziologischen Zusammenhängen gedacht und auch so gearbeitet, dort schon mein Zweitstudium abgelegt, und aufgrund der Situation der Staatsoperette dieses Studium noch einmal verdichtet. Damit habe ich mir auf wissenschaftlicher Grundlage Schwerpunkte aufgemacht, die aus meiner Sicht für das Haus von großer Relevanz sein könnten. Dabei geht es um Themen wie z. B. die Mediatisierung der Gesellschaft, die natürlich auch Auswirkungen auf die Kunst haben muss. Ich habe versucht, diese Erkenntnisse hier am Haus, aber auch in Fachkreisen außerhalb zu thematisieren. An welchem Kunstideal soll sich die Staatsoperette orientieren? Welches Publikum werden vergleichbare Häuser in Zukunft erreichen? Auf welchen strukturellen Grundlagen können Musiktheater, auch die Staatsoperette, zukunftsorientiert arbeiten und wie soll ihre inhaltliche Neuausrichtung aussehen? Solchen Fragen wollte ich mich annähern.

Mit Formulierungen wie "Die Staatsoperette Dresden, das einzige selbstständige Operettentheater Deutschlands" kann ich persönlich nichts anfangen – das ist doch erst mal eine Worthülse ohne Inhalt. Die Staatsoperette aber fundiert mit spannenden Inhalten, mit musikalischen Gegenwartformen vor dem Hintergrund eines neu zu definierenden Kunstanspruch zu füllen, das hat mich schon interessiert.

Der Umzug des Hauses ins Stadtzentrum wird immer wieder verschoben. Sind in einer solchen Situation grundlegende künstlerische Infragestellungen sinnvoll?

Ich hatte jedenfalls diese Vorstellung, die ich vor dem Hintergrund der erheblichen gesellschaftlichen Umwälzungen auch in unserer westlichen Welt für unabdingbar halte. Sich diesen Tatsachen zu verschließen, halte ich für einen Fehler. Deshalb wollte ich erreichen, dass man sich an der Staatsoperette im Diskurs mit der Gegenwart der Musiktheater auseinandersetzt, um für die Staatsoperette ein Profil zu entwickeln, mit dem man das Haus nachziehen, es sozusagen ins Heute holen kann. Musikalisch haben wir zwar einen ansprechenden Status erreicht, der durchaus weiter entwickelbar ist. Das wäre aber auch in anderen relevanten künstlerischen Zusammenhängen nötig.

Ihr Haus sah sich zuletzt im Zwiespalt zwischen Publikumsnähe und Kunstanspruch.

Im Zwiespalt zwischen Publikumsnähe und Kunstanspruch (Szenenfoto: "Der Zigeunerbaron", Inszenierung von Rita Schaller). Foto: Kai-Uwe Schulte-Bunert

Prinzipiell mache ich immer wieder eine Beobachtung: bislang konnte sich noch kein Theater vor der Schließung retteten, das das konsequente Festhalten am Althergebrachten zum Konzept hatte. Ich selber habe nach wenigen Jahren meiner Arbeit in Dresden auch klar erkannt, dass ich, wenn überhaupt jemals ein Neubau kommen sollte, dieser nicht in meine Amtszeit fallen würde. Trotzdem wollte ich, um die Neubauentscheidung zu befördern, eine interne Diskussion entfachen, um für die hier konzeptionell strukturierte Publikumsorientiertheit, einen entsprechenden modernen, den gesellschaftlichen Gegebenheiten angepassten Kunstbegriff für breitenwirksame Musiktheaterformen zu entwickeln. Daraus sollte sich in der Folge eine ebenso moderne und zukunftsorientierte Kunstproduktion an unserem Hause entwickeln, die u.a. einen Neubau inhaltlich motiviert zur Folge haben könnte, zumindest wenn es die verantwortlichen Politiker ehrlich mit der Operette meinen.

Wie ernst nimmt die Politik Ihr Ensemble, das zugunsten des Umzugs auf Lohn verzichtet?

Dieses Einsparungspaket ist eine riesengroße Leistung des Ensembles. Aber ich halte es für absolut unverfroren von der Politik, diese Einsparungen tatsächlich einzufordern. Ich bezweifle die Integrität derjenigen, die das Angebot des Ensembles angenommen haben. Noch mehr: Ich halte es für bemerkenswert, dass man das zwar annimmt, aber den Geber nicht als Geber, als Großinvestor behandelt! Wenn hier in Dresden ein Investor mit 15 Millionen reinschneit, dann sitzt der doch sofort im Kempinski! Wo aber sitzen meine Kolleginnen und Kollegen?

Vielleicht hätte das Ensemble nach dem Umzug ins Kraftwerk Mitte künstlerisch freier atmen können – auch mit Ihnen?

Es gibt einfach so viele inhaltliche Dinge, die mich veranlasst haben zu sagen: Leute, sucht euch jemanden, der die künstlerische Richtung des Hauses mittragen will, wie sie ist. Ich kann es nicht. Ich muss mich doch als Dirigent vollverantwortlich für die künstlerische Linie fühlen können. Seit geraumer Zeit fühle ich mich da draußen in Leuben aber eher wie in einer geistigen Geiselhaft als in einem inspirierenden kreativitätsfördernden Umfeld. Ein Theater hätte so viele Möglichkeiten – aber ich bleibe irgendwie hängen mit meinen Vorstößen.

Was werden Ihre künstlerischen Ziele sein, wenn Sie das Kapitel Staatsoperette abgehakt haben?

Ich habe meine Ziele nie so verstanden, als Dirigent auf der entscheidenden Tageszeitung vorn drauf sein zu müssen. Wenn ein Dirigent heute andere Zugänge zu seinem Repertoire sucht, finde ich das zeitgemäß. Die Staatsoperette habe ich als kunstsoziologisches Langzeit-Projekt gedacht, und mein Position als Ventil, um in die Operette reinzukommen. Mein Motor war aber das übergeordnete künstlerische Konzept, das ich oben bereits dargestellt habe und die gedanklich perspektivische Arbeit an der Kunstform Musiktheater.

Für meine Zukunft kann ich mir vorstellen, dass sich meine künstlerische Arbeit über das reine Dirigieren hinaus gestaltet. Ich werde weiter darauf hinweisen, dass sich die Musiktheater viel überlegen sollten, um in der Gegenwart anzukommen, auch im Bereich der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Thema. Ich werde meine Dissertation fertigschreiben und dann sicherlich versuchen, Verbindungen zwischen universitären und kunstinstitutionellen Strukturen herzustellen, um Wege in die Zukunft zu finden. Das motiviert mich. Und jetzt sehen wir mal weiter. Ich bin ja schließlich noch bis 2013 am Leubener Haus. Da ergeben sich vielleicht noch manche schönen Dinge. Die nächsten könnten ja bereits die RadioMusiken-Aufnahmen im August sein.