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Musikalische Elementelehre

"In einer Stadt mit einem starken Musikleben in der Saison sind Höhepunkte besonders wichtig – die zeigen dann wirklich, dass wir herausragen!" Mit diesem Ansatz hat der Intendant der Dresdner Musikfestspiele, der Cellist Jan Vogler, die Philosophie seines Festivals einmal umrissen. Der Begriff "Sendungsbewusstsein" fällt später in dem kleinen Film, den die Festspiele auf ihre Facebook-Seite gestellt haben – hier wird Dresden an die Welt angedockt. Renommierte Orchester, die sich sonst selten in der Stadt blicken lassen (beispielsweise das Gewandhausorchester, die Berliner oder die New Yorker Philharmoniker), sind da ebenso willkommen wie Tastenlöwen und Saitenvirtuosen aus aller Welt.

Das Jubiläumskonzert zum 25jährigen Bestehen des Dresdner Kammerchors findet mit Rene Pape (Foto: M. Bothor) am 22. Mai statt.

"Aus aller Welt", das sind im 2011er Jahrgang – unter dem Motto "Fünf Elemente" – auch und vor allem asiatische Stars. Das Tokyo String Quartet gibt sich die Ehre mit einem Programm, das Toru Takemitsu durch Mozart und Beethoven rahmt (4. Juni). Die in Sezuan geborene Pianistin Ran Jia malt auf Schloss Wackerbarth "Acht Erinnerungen in Wasserfarben" (31. Mai). Dai Miyata wiederum räumte als erster Japaner 2009 den wohl begehrtesten Cellopreis überhaupt ab, den Grand Prix im alle vier Jahre in Paris veranstalteten Rostropowitsch-Wettbewerb. Er macht die Zuhörer am 30. Mai mit Toshiro Mayuzumis Solowerk "Bunraku" bekannt. Und so geht die Reihe weiter: Haochen Zhang (er gewann den Van-Cliburn-Wettbewerb) mixt Chopin mit Prokofjew und Jianzhong Wang, das Faust-Quartett präsentiert asiatische Streichquartette (26. Mai, Societätstheater), und die Südkoreanerin Ye-Eun Choi zeigt uns "Li-Na im Garten" (Isang Yun). In bester Tafelmusik-Tradition dürfen die Zuhörer nach diesem Konzert am 25. Mai ein asiatisches Drei-Gänge-Menü auf Schloss Wackerbarth genießen…

Einer der Höhepunkte des Fünf-Elemente-Jahrgangs dürfte das Konzert des in Taiwan geborenen und in Australien aufgewachsenen Ray Chen werden: der in Philadelphia ausgebildete Geiger gibt sein Dresden-Debüt mit Bachs Chaconne d-Moll, einem mächtigen Prüfstein der ernsten Violinliteratur, interpretiert César Francks A-Dur-Sonate, Henryk Wieniawskis unsterbliche "Légende", und verspritzt dazu fleißig Tartini’sche Teufelstriller, um zuletzt ein eigenes Werk zu präsentieren.

Mit Spannung erwartet: Ray Chen (Foto: 2009 Columbia Artists Music)

Andere mögen ob der zu erwartenden Welle junger Talente aus Asien eine Tsunamiwarnung aussprechen – Lang Lang spricht in Interviews von 36 Millionen Klavierschülern, die allein in China momentan ausgebildet werden -, aber diese Sichtweise ist nicht die eines Jan Vogler. Der Cellist, der mit der chinesischen Geigerin Mira Wang verheiratet ist, möchte verschiedene musikalische Welten zusammenführen, auf dass ein interessanter Austausch entstehe. Neben den asiatischen Jungsstars treten da auch altbekannte Europäer auf die Bühne: Hille Perl etwa, Fabio Biondi mit Europa Galante, Christian Tetzlaff oder Arcadi Volodos, die allesamt hiesige Altmeister von Hasse bis Liszt, von Fux bis Schubert, von Bach bis Ravel interpretieren. Mit hinein spielt da das Thema Religion; zeitgleich zu den Musikfestspielen findet in Dresden der Deutsche Evangelische Kirchentag statt, auch das schlägt sich im Programm der Festspiele nieder. "Die Spiritualität der fünf Elemente ist da natürlich eine ideale Brücke," so Vogler. Religion fließe sozusagen im Untertitel in die diesjährigen Festspiele ein.

Zum Eröffnungskonzert, das am 18. Mai in der Semperoper stattfindet, dirigierte Esa-Pekka Salonen Mahlers Dritte; ein Werk, das sicherlich zu den Grundsteinen einer klassischen westeuropäischen Musiktradition gezählt werden darf wie – vielleicht ähnlich "westlich" angelegt, vielleicht etwas fasslicher ausgeführt, Camille Saint-Saens‘ "Orgelsinfonie", die die Festspiele am 5. Juni in der Dresdner Kreuzkirche beschließt. Dazwischen also ein spannender Ausflug gen Osten, aber auch in andere Musikwelten: so hat auch der koreanische Pop-Sänger RAIN, der "Michael Jackson Asiens", seinen Platz im Festivalprogramm erobert – und den Festspielen auch ein paar jüngere Aficionados beschert.

Eine Textfassung des Artikels ist in »Kunststoff – das Kulturmagazin aus Mitteldeutschland« erschienen.