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Mit „Clouds after Cranach 1+2“ nimmt Hellerau wieder Fahrt auf

Tänzer: Cyril Baldy, Fabrice Mazliah, Dana Caspersen (Foto: PR)

Wer in vergangenen Jahren an bestimmten Veranstaltungen des Europäischen Festspielhauses scheiterte, weil er partout keinen Zugang fand; wen nach dem Besuch leise Zweifel beschlichen, ob er nicht

langsam zu alt sei (für ohrenbetäubende Discos), noch zu jung (für die “Veteranentreffen” in Konzerten mit zeitgenössischer Musik), langsam zu gesetzt (für alberne Kurzfilmchen osteuropäischer Bohemiens) oder noch viel zu albern (für allzu gesetzte Vortragsveranstaltungen), sollte sich und dem Festspielhaus eine neue Chance geben.

Tatsächlich scheint das Haus mit dem neuen Intendanten Dieter Jaenicke sofort ein bißchen zugänglicher geworden zu sein. Wohl hat sich baulich nicht viel geändert; der Kartenabreißer guckt grummelig-streng wie eh und je, in den Lampenkarrees der Foyers sind die Glühbirnen nach wie vor nicht ersetzt; aber der Ton, der eben die Musik macht, hat sich gewandelt. Ein freundliches, improvisiertes Grußwort des Hausherrn, von halber Treppe in die lauschende Menge gesprochen; die Bitte, mit Rückmeldungen positiver wie negativer Art, mit Wünschen, Bitten und Kritik nicht zu sparen und wiederzukommen, Neugierige mitzubringen; das wärmte das Herz vor für “Clouds after Cranach 1+2”, eine heute fast vier Jahre alte Arbeit von William Forsythe, die nach Dresden zu bringen allerhöchste Zeit war.

Im ersten Teil des Abends überschlagen sich die Ereignisse scheinbar, das Auge ist – wie das Hirn – erst einmal überfordert von dem komplexen Stop-Motion-Verfahren, das die Tänzer auf der requisitenfreien Bühne zelebrieren. Nach und nach dringt man dann ein in den rhythmischen Bewegungskosmos, der offenbar verschieden lange charakter- und gruppengebundene Topoi repetitiv verschränkt, die Tänzer rückwärts-vorwärts-seitwärts in verschiedenen Geschwindigkeiten aufeinanderprallen, verharren und wieder losschießen lässt, bis sich die Handlung, der eigentliche Inhalt des “Bildes” nach und nach erschließt. Die einzigen Geräusche sind dabei synchronisierende Klopf- und Klatschlaute und das immer rhythmischere, immer lautere Atmen der bis zur physischen Erschöpfung sich verausgabenden Akteure. Faszinierend ist es zu beobachten, wie bestimmte Aktionen ineinanderlaufen, wie die Handlungsdichte pulsiert, sich aus der Masse einzelne Soli herausschälen und wieder in sie hineinfallen.

Tänzer, naja: Schauspieler: Jone San Martin, David Kern

Der zweite Teil des Abends ist schneller erschlossen; zumindest für denjenigen, der die englische Sprache beherrscht (wie am Buffet erlauscht, sind das längst nicht alle). In ein grandios auf Bild- und Raumproportionen andeutende Linien reduziertes Bühnenbild ist eine aufs knappste verdichtete Handlung gesetzt; drei Mitglieder der Kompagnie umschreiben, was der Zuschauer am Schluß des Abends – eine tolle Pointe, wenn auch vorauszuahnen – im Vorraum dann als Bild zu Gesicht bekommt.

Tickets für “Clouds after Cranach”, das noch bis Dienstag jeden Tag zwei Mal gegeben wird, sind nur noch an den Abendkassen erhältlich. Was in den nächsten Monaten auf dem Programm steht, lässt vermuten, dass Kartenknappheit wieder zum Regelfall wird in Hellerau. Wer diesen intelligenten und doch kurzweiligen Abend erlebt hat, kommt nämlich garantiert wieder – und darf dann vielleicht auch Hauskater Roman, der wieder mal verdächtig lange ums Buffet schlich, persönlich die Pfote schütteln.

Martin Morgenstern