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Zustände wie im alten Rom – „Die Krönung der Poppea“ als Hochschulinszenierung im Kleinen Haus

Lebt vom “spielfreudigen Ensemble”: die neue Hochschulinszenierung

Claudio Monteverdis letzte Oper, die im Rom des Jahres 62 spielt, wurde 1642 zum Karneval in Venedig uraufgeführt, in den letzten Jahren rund um die Welt inszeniert. Jetzt endlich ist

sie auch in Dresden zu hören und zu sehen; eine Gelegenheit, die man nicht verpassen sollte. An diesem Weihnachtsgeschenk, das in bewährter Zusammenarbeit die Dresdner Hochschulen für Musik und Bildende Künste mit dem Staatsschauspiel der Kunststadt auf den Gabentisch gezaubert haben, kann man sich bis Ende Januar erfreuen.

Wie wir es am Ende finden, dass offensichtlich in diesem Welttheater Tugend und Glück (Amelie von Grundherr und Janett Neumeister) zwar vorhanden sind, aber der Vorherrschaft Amors (Teresa Suschke) weichen müssen, bleibt uns überlassen. Zumal in diesem komödiantischen Drama der göttliche Drahtzieher auch genau immer in jenem Moment seinen Pfeil ins richtige Fleisch bohrt, da ein Fleisch zum anderen will, ganz und gar nicht immer in frommer Absicht auf ewig „ein Fleisch“ zu bleiben. Es ist eine Lust, bei der Lust zuzusehen und zuzuhören, welche Töne sie findet, um sich ans Ziel zu singen. In diesem „alten“ Stück will jeder etwas haben. Der Soldat auf der Latrine im römischen Röckchen will das Knie seines Kameraden (Benjamin Glaubitz und Sie Hun Park). Die schöne junge Drusilla (Maria Hedderich) will ihren Ottone (Philipp Kaven) wieder haben, der aber ist vermählt mit Poppea (Jenny Stark), die will den Nero (Clemens Volkmar). Sie schmiegt, schmeichelt und singt sich daher mehr oder weniger bekleidet sehr geschickt an diesem sagenhaften Kaiser hoch.

Poppea steigt auf, Ottavia (Julia Böhme), die Gattin des Kaisers, fällt, ihr Anschlag auf die verhasste Rivalin misslingt, sie wird verbannt. Im römischen Schaumbad, in schwülen Dämpfen, entsorgt sich der mahnende Philosoph Seneca (Philipp Brömsel) selbst. Er legt sich ganz edel und operngemäß dazu in die Wanne, just auf der Bühne, wo Rolf Hoppe vor 28 Jahren in philosophisch gezirkelten Alexandrinern von Peter Hacks amüsant den vom Diktator befohlenen Selbstmord zelebrierte. Alle andern kommen davon, manche auch ein wenig weiter. Poppea und Nero, am Ziel ihrer Wünsche, kommen zusammen und singen ein zu Herzen gehendes Liebesduett. Finale mit himmlischen Boten im Sturzflug. Dann ist die Oper zu Ende; was folgt, bleibt uns erspart. Etwa der Fußtritt des Kaisers, mit dem er – das Gerücht ist nun mal in der Welt – die schwangere Poppea ins Jenseits befördert. Weitere Großtaten sind bekannt, die seiner Nachfolger auch.

Kein Zweifel, Monteverdis Oper in drei Akten mit einem Prolog ist ein wunderbares Welttheater, ein Spiel der Mächtigen und der Ohnmächtigen, der Großen und der Kleinen, bei dem natürlich immer keiner Schuld ist, weil ein anderer, Amor in diesem Falle, die Fäden zieht. Welch Glück, dass Axel Köhler, der mit den Studierenden dieses Werk inszeniert hat, die Kiste mit den Versatzstücken des Regietheaters geschlossen lässt und sich nicht in Wertungen und Deutungen ergeht. Wer Vergleiche mit den Vorgängen auf den Bühnenbrettern sucht, wird sie rasch auf anderen Bühnen finden. Köhler widmet sich der Tugend des Regieführens. Er führt ins Spiel und auf diesem Weg der Erkenntnisse die wunderbare Truppe junger Sängerinnen und Sänger zu ihren persönlichen Chancen und Fähigkeiten. Darin macht er sie stark. Er hilft ihnen, mit dem was sie können, und auch mit dem was sie (noch) nicht können, angstfrei umzugehen. Alle geraten an Grenzen. Aber welches Maß an Freiheit sie innerhalb der Grenzen sich erspielen, das ist verblüffend. In der zeitlosen römischen Badelandschaft von Stephanie Dorn dürfen sich alle ihren Verkleidungsgelüsten, besonders bei etlichen sehr raschen Rollenwechseln, hingeben. Die „historischen“ Kostüme von Lilith-Marie Cremer, in der ganz unverkennbar so wache wie fröhliche Zeitgenossen stecken, mal mehr Bein, mehr Brust oder Bauch zeigen, haben römischen Faschingscharme. Die Travestie als derber Spaß mit doppeltem Boden war zu Monteverdis Zeit gerade erfunden; in der Dresdner Aufführung zaubert die männliche Amme des Christian Berger kraft berührenden Spiels und Gesanges schönste Theatermomente, und die „weibliche“ Amme der Franziska Neumann trumpft mit männlicher Resolutheit. Die Pagin im Personal ist Anna Moritz.

Musiziert wird mit viel Lust am Spiel. Franz Brochhagen leitet vom ersten Cembalo aus eine Streichergruppe mit sieben Violinen, Viola, Violoncello und zwei Kontrabässen, an der linken Seite des Theaters, für alle sichtbar, vor der Bühne und die rechts platzierte Continuogruppe mit Marcus Ehrmann als zweiten Cembalisten und Organisten, dem Lautenisten Heiko Schmiedel sowie Annekatrin Flick, Violoncello. Erstaunlich, welche Farben und Stimmungen bei so kleiner Besetzung möglich sind. Für die Sängerinnen und Sänger ist der vorherrschende rezitativische Stil mit gelegentlichen ariosen Anflügen, knappen Duetten und wenigen kleinen Ensembles, eine enorme Herausforderung. Alle üben sich in den Tugenden des Sprechgesanges in einer flotten deutschen Übersetzung. Mit den Tücken der Diktion kommen sie zurecht, mit der Kunst, angemessen Emotionen zu vermitteln, sind nicht alle gleichermaßen vertraut. Von solitären Höhenflügen wird man nicht überrascht, dafür von der positiven Energie eines spielfreudigen Ensembles, das sich zusammengefunden hat in der herrlichen Freiheit eines Wagnisses, das für alle ein großer Gewinn ist.

Boris Michael Gruhl

Nächste Aufführungen:
11., 15., 20. 12. 2008, 7., 12., 18., 22., 28. 01. 2009