Scroll Top

Orchesteraufnahmen im Kulturpalast Dresden

Kazuya Nagae
Nagoya University of the Arts

Einführung

Kürzlich hatte ich die Gelegenheit, den neuen Konzertsaal im Kulturpalast Dresden zu besuchen. Es war mir dabei möglich, Informationen über ein Aufnahmeprojekt der Dresdner Philharmonie zu sammeln, das in einer Kombination von Live-Mitschnitten und Nachaufnahmen durchgeführt wurde.

Der alte Saal des Kulturpalastes war 1969 eröffnet worden und wurde rasch zum Zentrum der Kunst und Kultur in Dresden. Seit 2013 wurde das Gebäude komplett renoviert, der neue Konzertsaal eingebaut und im April 2017 wiedereröffnet. Das Innere des Palastes wurde dabei komplett umgebaut, das Äußere jedoch so vollständig wie möglich in der Art erhalten, in der er vor fast einem halben Jahrhundert erbaut wurde.

Ich sah die Live-Übertragung des Galakonzerts zur Wiedereröffnung über Web-Streaming von Japan aus, und je mehr ich über die Hintergründe dieses Konzerts erfuhr, umso mehr entwickelte ich ein tiefes Interesse an den Details.

Kulturpalast Dresden

1969 eröffnet, war der Kulturpalast Dresden eine typische Kultureinrichtung der ehemaligen DDR. Die Form des Gebäudes ist ein einfaches Rechteck, die Fassade ist von weißen Wänden und Fenstern mit bronzenen Spiegelgläsern bestimmt. Überraschend für mich waren die Ähnlichkeiten mit dem Design anderer Gebäude aus DDR-Zeiten wie zum Beispiel dem Palast der Republik in Berlin. An den Außenwänden an der Westseite des Gebäudes und an den Wänden im Foyer sah ich Wandmalereien, die für die damalige sozialistische Propaganda typisch sind, und mir wurde klar, warum nur das Innere des Gebäudes neu gebaut, die Fassade jedoch in ihrer ursprünglichen Sicht renoviert wurde. Vor der Renovierung wurde der Kulturpalast als Mehrzweckhalle mit maximal etwa 2.400 Sitzplätzen für verschiedene Veranstaltungen wie Orchesterkonzerte, Konzerte mit Beschallungsanlage, für Tagungen usw. genutzt.

Auf der Website des Kulturpalastes ist die folgende Beschreibung zu finden:

„Ab den 1990-er Jahren stand der Kulturpalast in einem internationalisierten Konzert- und Veranstaltungsmarkt. Dessen Anforderungen war das multifunktionale Saalkonzept nur zum Teil gewachsen. Künstler, Veranstalter und Publikum vor allem aus dem klassischen Musiksektor bemängelten die im Vergleich zu führenden Konzertsälen problematische Akustik. Immer seltener wurde die vorhandene Platzkapazität tatsächlich benötigt. Für die Dresdner Philharmonie stellte der Saal, der 1969 noch so enthusiastisch gefeiert worden war, mehr und mehr ein künstlerisches Hemmnis dar.

Der Rückzug der Sächsischen Staatskapelle in die wiederaufgebaute Semperoper im Jahr 1992 war ein erstes Zeichen für den beginnenden Bedeutungsverlust. Neue Bauten, wie die Frauenkirche (2005), die Messe Dresden (1999), das Kongresszentrum (2004) und der Saal im Deutschen Hygiene-Museum (2010) traten mit ihren Veranstaltungen in Konkurrenz zum Haus. Hinzu kamen immer stärkere Betriebseinschränkungen, die aus dem technischen Verschleiß und unzeitgemäßem Brandschutz resultierten. 2007 musste der Kulturpalast zeitweilig geschlossen werden, um die dringendsten Sanierungen durchzuführen.“

Laut dieser Beschreibung war die Alterung des Gebäudes einer der Gründe für die Renovierung des Kulturpalastes, aber ich denke, ein anderer wichtiger Aspekt war, dass die akustische Leistungsfähigkeit des Veranstaltungsortes im Vergleich zu anderen Sälen, die speziell für Orchestermusik entworfen wurden (z.B. Berliner Philharmonie), nicht zufriedenstellend war. Vielleicht wäre es angemessen, die Formulierung „Renovierung des Gebäudes mit einem kompletten Neubau des Konzertsaales“ zu verwenden, um die Renovierung des Kulturpalastes zu beschreiben.

Neubau des Saales

Der Kulturpalast wurde im Oktober 2012 für die Renovierungsarbeiten geschlossen; der Baubeginn erfolgte im Oktober 2013. Die architektonische Gestaltung wurde von GMP übernommen, also von Meinhard von Gerkan und Stephan Schütz mit Nicolas Pomränke. Der Bau wurde von gmp architekten in Hamburg ausgeführt, die akustische Planung des Konzertsaales sowie der anderen Räume im Gebäude wurde vom Akustikbüro Peutz (Niederlande) übernommen. Vor dem Neueinbau des Konzertsaales wurden alle ehemaligen Innenbauten komplett entfernt (s. Foto), und innerhalb des verfügbaren Volumens wurde der Konzertsaal komplett neu aufgebaut. Auf der Website des neuen Saales ist die folgende Beschreibung zu finden:

Der neue Konzertsaal ist das Herzstück des umgebauten Kulturpalasts in der Mitte der Stadt. Ähnlich wie die Philharmonie in Berlin und das Leipziger Gewandhaus ist er in der so genannten Weinbergsform errichtet, die eine erstklassige Akustik garantiert. Krönung des Saales ist die Orgel der Firma Eule (Bautzen) mit 67 Registern und 4109 Pfeifen – Dresdens einzige für das Repertoire des 19. und 20. Jahrhunderts geschaffene Konzertorgel. Der Konzertsaal mit seinen 1760 Plätzen und in Richtung Saalmitte angelegten Bühne bietet der Dresdner Philharmonie erstmals in ihrer 150jährigen Geschichte optimale räumliche und klangliche Bedingungen.

Die Renovierungsarbeiten dauerten über dreieinhalb Jahre. Am 28. April 2017 fand dann eine Wiedereröffnungsgala mit der Dresdner Philharmonie unter der Leitung von Michael Sanderling statt, um die Erneuerung des Kulturpalastes zu feiern. Das Konzert begann mit Schostakowitschs „Festlicher Ouvertüre“, einer Andeutung der Geschichte dieses Ortes unter dem Einfluss des Sozialismus; es folgte Mendelssohns Violinkonzert und als Abschluss der 4. Satz von Beethovens „Neunter Sinfonie“, die auch das Schlusswerk des ehemaligen Eröffnungskonzertes des Kulturpalastes 1969 gewesen war.

Überblick über die Aufnahme

Die Dresdner Philharmonie wurde 1871 gegründet und bestimmte bald gemeinsam mit der Sächsischen Staatskapelle Dresden (SSKD) die Musikszene der Stadt Dresden. Kurt Masur, Günther Herbig, Herbert Kegel, Marek Janowski und andere namhafte Künstler hatten als Chefdirigenten fungiert, seit 2011 (und noch bis 2019) ist Michael Sanderling als Chefdirigent tätig. Sanderling wurde als dritter Sohn des renommierten Dirigenten Kurt Sanderling geboren, der eine Zeit lang als Chefdirigent der SSKD fungierte; mit seinen beiden älteren Brüdern Thomas und Stefan wuchs er in einer musikalischen Familie auf. Er begann seine musikalische Karriere zunächst als Cellist und wechselte in den frühen 2000er Jahren ans Dirigentenpult.

Zahlreiche frühere Aufnahmen der Philharmonie mit Tonmaterial aus DDR-Zeiten sind bei der Deutschen Schallplatten Berlin erschienen; in Japan werden Schallplatten und CDs u.a. von SONY mora und e-onkyo music vertrieben. Seit 2015, nachdem Sanderling Chefdirigent wurde, wurden CDs bei Sony Classical veröffentlicht, und die Programmatik dieser CDs ist wirklich anspruchsvoll. Diese CDs werden im Rahmen einer Gesamteinspielung der Sinfonien Beethovens und Schostakowitschs produziert.

Vor der Renovierung des Kulturpalastes fanden die Aufnahmen in der Lukaskirche Dresden statt; nach Abschluss der Renovierungsarbeiten wurden die Aufnahmen in den Kulturpalast verlegt, wo fortan Generalproben und Konzerte mitgeschnitten und die Nachaufnahmen angefertigt wurden.

Diesmal sammelte ich Informationen zu einer Aufnahme von Beethovens Symphonie Nr. 8. Die Live-Aufnahmen fanden am 7. und 8. Oktober 2017, die Nachaufnahmen am Vormittag des 9. Oktober statt. Diese Aufnahme wird demnächst veröffentlicht und ist Teil der Gesamtaufnahme, die 2019 abgeschlossen sein wird.

Aufnahmeteam

In Deutschland werden Orchesteraufnahmen in der Regel von zwei Tonmeistern betreut, von denen einer als Tonmeister/Produzent und der andere als Toningenieur fungiert. Diese Aufnahme bildet keine Ausnahme. Der Tonmeister/Produzent war Wolfram Nehls (freiberuflich), der Toningenieur René Möller (Teldex Studio Berlin). Jakob Wundrack (Student der UdK) unterstützte die beiden.

Aufnahmesystem

Anders als die Berliner Philharmonie und das Gewandhaus Leipzig verfügt dieser Konzertsaal nicht über einen Kontrollraum. Es gibt jedoch einige Räume, die entsprechend verkabelt sind, so dass sie bei Bedarf als Kontrollräume genutzt werden können. Die Aufnahmekonfiguration ist in dieser Grafik dargestellt.

Mikrofonanordnung

Der Konzertsaal ist nicht mit einem Mikrofon-System mit Winde ausgestattet, aber es gibt viele Löcher, um Mikrofone von der Decke hängen zu können. Die Mikrofonierung erfolgte wie in dieser Grafik. Gefragt, warum er verschiedene Arten von Mikrofonen benutze, antwortete mir René Möller, dass er sich an verschiedenen Stellen verschiedene Klangcharaktere vorstelle.

Fazit

In Dresden erlebte ich einen Konzertsaal, dessen Äußeres im Stil der ursprünglichen Bauzeit renoviert und dessen Inneres vollständig neukonstruiert wurde. Während ich Informationen zusammentrug, wurde mir wieder bewusst, dass Deutschland nach dem Krieg geteilt war, und ich fühlte, dass Dresden seine individuelle kulturelle Geschichte achten müsse, um seine Identität für die Zukunft zu bewahren. Unter dem Aspekt der Tonaufnahmen wurde zudem deutlich, wie intensiv sich die wechselseitige Beziehung zwischen Tonmeister, Orchester und Dirigenten in einer langjährigen Partnerschaft entwickeln kann. Durch meine Recherchen und Interviews verstand ich, wie wir Ingenieure unsere Beziehung zu den Klangkörpern vertiefen und entsprechende Ideen in Japan weiterentwickeln sollten. Mein Dank gilt daher allen Gesprächspartnern in Dresden.

Originalbeitrag hier; gekürzt und ins Deutsche übertragen von Martin Morgenstern

Verwandte Beiträge