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Auswärtiges Amt kontra »Aghet – agit«

Foto: jul.baumgart / photocase.de
Foto: jul.baumgart / photocase.de

Eine wohlüberlegte Begründung sieht anders aus: „Die Räumlichkeiten des Generalkonsulats in Istanbul stehen am 13. November nicht zur Verfügung“, hieß es heute aus dem Auswärtigen Amt in Berlin. Kaisersaal? Zu Kaisers Zeiten gab es den engen Schulterschluss zum Osmanischen Reich, wurde der Völkermord an den Armeniern geduldet, wenn nicht gar unterstützt. Heute hat sich die deutsche Bundesregierung immerhin dazu durchgerungen, in einer Resolution den Völkermord als das zu benennen, was er ist: Völkermord. Bis zu eineinhalb Millionen Menschen sollen seinerzeit ums Leben gekommen sein. Die aktuell stark radikalisierte Türkei des Recep Tayyip Erdogan sieht das freilich anders. „So etwas wie ein Genozid liegt unserer Gesellschaft fern. Wir werden einen solchen Vorwurf niemals akzeptieren.“ Der Präsident hat gesprochen.

Die Dresdner Sinfoniker aber wollten Kunst und Kultur gegen dieses menschenverachtende Dogma setzen. Mit Musik für Versöhnung sorgen, so die Idee hinter dem Projekt »Aghet – agit«, das zum 100. Jahrestag des Massakers uraufgeführt worden ist und Anfang des Jahres auch im Festspielhaus Hellerau präsentiert wurde. Schon damals hat es Proteste gegeben, der türkische EU-Botschafter intervenierte gar gegen die finanzielle Förderung des Unternehmens.

Trotzdem fand es statt, wurde gar mit einem Schülerprojekt verbunden, das Franz Werfels Roman »Die vierzig Tage des Musa Dagh« thematisierte, und sollte nun im Herbst an drei Orte gebracht werden, wo gelebte Versöhnung dringend vonnöten ist. Belgrad, Jerewan und Istanbul sind die Reiseziele – gewesen. Zumindest Istanbul – sogar Erdogan und ein paar seiner Gefolgsleute sollen dazu eingeladen worden sein – fällt nun erst mal aus.

Wirklich überraschend ist das nicht angesichts der Aufregungen in den vergangenen Monaten. Enttäuschend bis schäbig ist allerdings, dass die deutsche Seite klein beigegeben hat (dieselbe, die bis heute nur zaghaft den ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts verantwortlich anerkennt, nämlich den an Herero und Nama durch die deutsche Kolonialmacht). Erklärungen aus dem Auswärtigen Amt zur Ausladung der Dresdner Sinfoniker gab es nicht, nur den ausdrücklichen Hinweis: „Einladungen zu der Veranstaltung sind ohne Beteiligung des Auswärtigen Amtes erfolgt.“

Die Dresdner Sinfoniker hätten »Aghet – agit« im Generalkonsulat lediglich in einer kammermusikalischen Fassung aufführen und einen Satz mit direktem Bezug auf den Staatschef – »Massaker, hört ihr Massaker! (an: Recep Tayyip Erdogan)« – unterlassen wollen. Vor allem jedoch planten sie, bei dieser Gala eine armenisch-türkisch-deutsche Freundschaftsgesellschaft zu gründen. Vom Auswärtigen Amt wurde auch dies nicht kommentiert. Die Aufführung sei verschoben, hieß es.

Einen neuen Termin teilte man freilich nicht mit.

Auf die Ausladung durch das Auswärtige Amt haben die Dresdner Sinfoniker mit einer Einladung reagiert: Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier solle die Schirmherrschaft der geplanten deutsch-türkisch-armenischen Freundschaftsgesellschaft übernehmen. Die wollte man ursprünglich im Zusammenhang mit dem im Istanbuler Generalkonsulat geplanten Auftritt ins Leben rufen, doch nun kündigte Sinfoniker-Intendant Markus Rindt eine baldige Gründungsveranstaltung in Berlin an und nannte Persönlichkeiten wie Cem Özdemir, Osman Okkan, Rolf Hosfeld, Lianna Haroutounian und Ilias Uyar als Gründungsmitglieder. Der vollständige Wortlaut des Schreibens an Frank-Walter Steinmeier findet sich hier.

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