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Kleine Form, große Kunst
 – Ein Liederabend mit Anja Harteros in der Semperoper

“Schönheit ihres natürlichen Gesanges” – Anja Harteros (Foto: PR)

Als sie vor ein paar Jahren zum ersten Mal als Mimi in Puccinis Oper „La Bohéme“ in der Semperoper das Publikum berührte, konnte man spüren, dass da ein

Stern aufging. Am Sonnabend stand Anja Harteros, inzwischen hier auch als Konzertsängerin bekannt, als Liedsängerin auf der Bühne: ein Weltstar in der Semperoper.

Erscheinung und Klang gehen bei dieser Künstlerin in glücklicher Symbiose zusammen, Körpersprache und Gestus des Gesanges in seltener Kongruenz. Ohne Opernbühne und Orchester ist der Klang ihrer weit dimensionierten Sopranstimme ausgeglichen, voller Wärme und Individualität. Anja Harteros kann auf Manierismen verzichten, sie bevorzugt die Direktheit des Tones, im piano wie im forte, wobei sie niemals forcieren muss.


Ein Glücksfall ist auch der Pianist des Abends. Wolfram Rieger einen Begleiter zu nennen, wäre ein Hohn, wiewohl ihm exzellente Tugenden des Zuspielens, aus dem dann das so großartige Zusammenspiel erwächst, eigen sind. Er musiziert mit der Sängerin, sein Spiel ist von eigener Poesie. 
Joseph Haydns „Gebet zu Gott“ grundiert er meditativ. Dann bleibt das Programm den Abend über in nachdenklichem Ton, der mit der zweiten Zugabe, einer so expressiven wie verinnerlichten Interpretation der „Zueignung“ von Richard Strauss ganz abgerundet ausklingt.

Weit spannt sich der Bogen des Abends, enthüllt einen romantischen Kosmos aus vornehmlich dunkel glühenden Farbklängen. Beethovens „An die Hoffnung“ gibt der Sängerin Raum für Töne einer Leonore, um gleich darauf den versöhnenden Ton für das bekannte Lied „Zärtliche Liebe“ zu treffen.
 In der folgenden Gruppe von Schubert-Liedern mit dem todesnahen „Schwanengesang“ wird „Gretchen am Spinnrad“ zu einer wahrhaft beunruhigenden dramatischen Wahnsinnsszene. Fünf Lieder von Robert Schumann beschließen den ersten Teil.

Vier Lieder von Richard Strauss erklingen nach der Pause; eines schöner als das andere. Nachdenklich zunächst „Die Nacht“, dann die aufbrechende Frühlingsliebe in „Wie sollten wir geheim sie halten“, mit der Zärtlichkeit eines Wiegenliedes „Meinem Kinde“ und „Befreit“ mit den abschließenden Klangdimensionen einer Arabella, die Hoffnungen auf eine Ariadne wecken.

Fünf Lieder von Johannes Brahms zum Abschluss, zwei Lieder von Richard Strauss als Zugaben. Bei Brahms noch einmal ganz andere Töne. Anja Harteros muss ihre Stimme nicht irgendwie dunkler klingen lassen, um dieser Traurigkeit angemessene Farben zu geben. Ihr Vortag ist gesammelt, von hoher Konzentration, aus dieser Hingabe muss die Schönheit ihres natürlichen Gesanges kommen, der uns in beglückender Weise betrifft und eben nicht trickreich verblüfft. Wie die Sängerin in „Der Tod, das ist die kühle Nacht“, nach Heinrich Heine, in unaufdringlicher, doch ganz intensiver Interpretation, Tod und Traum, und Traum und Tod ineinander klingen lässt, gehört zu den intensivsten Momenten eines an solchen Eindrücken nicht gerade armen Abends, der mit dem Lied „Von ewiger Liebe“ aus- und noch lange nachklingt.


Boris Michael Gruhl

Eine Textfassung des Artikels ist am 15. Dezember in den Dresdner Neuesten Nachrichten erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.