Die Dresdner Musikfestspiele begannen mit einem sympathischen Missverständnis: Unter dem Motto „Herz Europas“ wird amerikanisch musiziert. Zumindest an den ersten vier Tagen des Festivals gab das junge Curtis Symphony Orchestra aus Philadelphia den Ton an. Und manchmal traf es mit ungebremster Energie mitten ins europäische Herz.
Michael Ernst
Manche Leute gehen auf die Couch, wenn es ihnen zu bunt wird im Leben. Andere holen sich mit einem Roten Sofa Farbe und Abwechslung in ihren Alltag. Seit gut einem Jahr werden da Menschen meist aus der Musikwelt draufgesetzt und befragt. Nächsten Donnerstag ist es wieder soweit. Diesmal auf weltbedeutenden Brettern ganz ohne Balken.
Für jedes Original, das irgendwo zur Welt kommt, findet sich in Sachsens freistaatlicher Hauptstadt ein Nachahmer. Nun also auch für die Lange Nacht der Theater.
Premiere verpasst? Das kommt vor. Es zeichnete sich ja schon am vorigen Freitag ab. Nie werden alle Novitäten des Musiktheaters gleich taufrisch wahrgenommen werden können. Warum auch? So eine teure Opernproduktion muss sich schließlich eine ganze Weile im Repertoire behaupten können. Also führen wir uns doch mal den „Liebestrank“ zu Gemüte, der Ende April in Dresdens Semperoper zusammengebraut worden ist. Die zweite Vorstellung am 1. Mai bot genug Platz.
Die Oper Leipzig besinnt sich ihrer Uraufführungstradition und spielt Theater im Theater. Gegeben wird ein Arrangement, das viele Menschen bewegt (auf der Bühne), recht freie Platzwahl bietet (zur Premiere) und in rekordverdächtig kurzer Zeit entstanden ist (drei Wochen Probe). Der Titel „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ tut kaum was zur Sache. Wenig Aufstieg sahen wir. Aber viel Fall.
Ja, es gibt sie, die vorsätzlichen Triebtäter. Auch unter Opernfreunden. Mit Vorsatz stillen sie ihre Gelüste nur in Premieren. Treu nach dem Motto: Wenn ich die Premiere verpasse, werde ich dieses Stück nie sehen. Bei Ausstellungsbesuchern soll es ähnliches Verhalten geben: Wer die Vernissage verpasst, wird die Exposition niemals sehen. Dabei sieht man zur Eröffnung doch meist die Kunst vor lauter Häppchenjägern nicht. Das bevorstehende Wochenende macht es solchen Triebtätern des Musiktheaters in Sachsen jedenfalls schwer. Sehr schwer.
Wer das 9. Symphoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle verpasst hat, hat vieles verpasst. Zwei Klavierkonzerte von Sergej Rachmaninow, eines von Alexander Skrjabin, obendrein dessen 3. Symphonie „Le Divin Poème“ und sein Orchesterstück „Le Poème de l’Extase“. Man hätte alle drei Konzerte besuchen müssen. Oder wäre da der Eindruck noch disparater ausgefallen?
Schon wieder Freitag, der 13.? Tatsächlich, auch das macht der April. Wer die Musik liebt, darf es als absolut gutes Zeichen nehmen, ja als Omen. Denn der Dresdner Wochenendkalender ist mal wieder prall gefüllt. Hier ein paar Anregungen, entscheiden müssen Sie aber bitteschön selber.
Bei Derevo sprudelt es an diesem Wochenende. Osterwasser? Die nächste Sintflut? Oder einfach nur Bühnenregen in Hellerau? Nein, nein und doch ja: „Ketzal II. Noah’s Ark“ beweist vor allem, dass Dresdens Tanztheater Derevo vor neuen Ideen schier übersprudelt. Heute Abend lässt sich dieser Bilderbogen aus lustvollen Tristesse noch einmal im Festspielhaus Hellerau besichtigen.