Scroll Top

Kein Geburtstagskonzert in Sicht

Die Dresdner Musiklandschaft ist reich an namhaften Orchestern, und dennoch gab es am 1. November 2007 eine Neugründung. Mutig? In erster Linie engagiert!

Neue Orchester werden nicht ohne Anlass gegründet. Bei der Neuen Jüdischen Kammerphilharmonie tritt bereits im Namen zutage, worum es hier gehen wird. Die in der Nazi-Zeit verfemten Komponisten und deren Werke sollten wieder stärker ins öffentliche Bewusstsein gerückt werden. Gerade Dresden hätte da einigen Grund, sich für Wiedergutmachung einzusetzen. Schließlich sind die als entartet gebrandmarkten Musiker und deren Kompositionen ein untrennbarer Bestandteil des europäischen Kulturerbes, der dringend wieder gepflegt werden müsse, mahnt Claus Dieter Heinze.

Vielen Menschen in Dresden – und weit darüber hinaus – wird dieser Mann als langjähriger Chef des Dresdner World Trade Centers in Erinnerung sein. Mit vergleichbarer Tatkraft engagierte sich der nun bald 89-Jährige als Gründungsmitglied im Vorstand der als Verein firmierenden Kammerphilharmonie.

„Ich habe mich sehr eingehend mit der deutschen Geschichte beschäftigt und bin dabei auch immer wieder in diesem dunklen Jahr 1938 gelandet, als in Düsseldorf vor allem jüdische Komponisten vorgeführt und regelrecht an die Wand gestellt worden sind.“ Anlässlich der sogenannten Reichsmusiktage habe Propagandaminister Goebbels damals deklariert „Nun ist auch die Musik judenfrei!“ Aber auch nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und dem Zusammenbruch des kulturlosen Regimes erfolgte erst einmal keinerlei Rückbesinnung auf die Verfemten, von denen viele in Konzentrationslagern ums Leben gekommen sind. In dieser Ignoranz haben sich Ost und West eine Zeitlang kaum unterschieden. Claus Dieter Heinze ist überzeugt, dass es von 1938 bis zur Gründung der Kammerphilharmonie Phasen gegeben habe, in denen diese Komponisten gar nicht gespielt worden sind.

Der Ausgangspunkt seines geradezu leidenschaftlichen Engagements für dieses Orchester ist ein sehr persönlicher und liegt ebenfalls sehr weit zurück: „Ich bin 1944 mit elf Jahren mit meinem Vater in die Stadt Auschwitz gefahren. Vor dem Bahnhof hat er mich damals aus dem Auto geholt und mich gebeten, wenn ich jemals wieder in diese Stadt kommen würde, sollte ich die vor uns liegende Straße entlanggehen. Ich bin diese Straße dann 1974, 30 Jahre später, wieder gegangen und im KZ Auschwitz-Birkenau gelandet.“

Eine Begegnung, die Claus Dieter Heinze bis heute vergessen hat. „Ich war erschüttert, dass mein Vater nach dem Zweiten Weltkrieg nie über Auschwitz gesprochen hat. Das war meine Antriebsfeder, mich stark um die Wiederbelebung jüdischen Lebens in Deutschland zu bemühen. Und ich war sehr dankbar, als ich 2007 angesprochen worden bin, ob ich nicht bei der Kammerphilharmonie mitmachen will.“

Claus Dieter Heinze wollte mitmachen, hat sich eingebracht, war im Vorstand der Kammerphilharmonie und kümmerte sich zwölf Jahre lang insbesondere um die Finanzierung des Orchesters. Wobei er sehr unterschiedliche Erfahrungen machen musste. „Es gab sehr viele Freiwillige, die sich über die Jahre hinweg sehr engagiert haben. Und es gab jene, die sich jedes Wort über ein Sponsoring für etwas Jüdisches verbeten haben.“

Vom November 2007 bis Dezember 2019 hat Claus Dieter Heinze zur Finanzierung von 96 Konzerten beigetragen. Ein Millionenaufwand! Nicht selten habe er auch mit eigenen Mitteln aushelfen müssen, um Musikerhonorare, Mieten, Werbung sowie die Kosten für Notenmaterialien begleich zu können. Manchmal sei er „am Ende meines Lateins“ gewesen. Aber: „Wir wollten einfach, dass es weitergeht!“

Doch nicht nur von außen, auch intern wurde ihm sein Engagement für die Jüdische Kammerphilharmonie nicht eben leicht gemacht, sondern reichlich erschwert. „Da gab es immer wieder Differenzen. Besonders schwierig war es, die Zahlen auch offenzulegen. Vor allem, nachdem ich ausgeschieden bin, gab es heftige Diskussionen um den finanziellen Bestand des Vereins.“

Claus Dieter Heinze hat über all die Jahre hinweg immer wieder geholfen, wo er nur konnte. Die Neue Jüdische Kammerphilharmonie, die für ihr Wirken zahlreiche Auszeichnungen erhalten hat, soll unbedingt erhalten bleiben, das war und das ist sein Credo. Dass es nun aber nicht mal ein Geburtstagskonzert geben soll, wirkt befremdlich. Die Website scheint seit 2017 (!) nicht mehr gepflegt worden zu sein: „Our website is currently undergoing maintenance. We will shortly be announcing our upcoming concert schedule. Thank you for your patience.“