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Poesie, Schmerz und Widerstand

Anne Jung, Zoe Lenzi Allaria, David Leonidas Thiel, Sam Young-Wright, Violoncello: Petar Pejči (Alle Fotos: Dominik Mentzos)

Mit der jüngsten Premiere setzt die Dresden Frankfurt Dance Company grandiose Akzente für den zeitgenössischen Tanz in Dresden

Es beginnt mit Bach. »Bach Off« heißt die Kreation von Jacopo Godani zu einer Auswahl tänzerischer Sätze aus Suiten für Violoncello von Johann Sebastian Bach. Diese Sätze werden vom Cellisten Alex Lau gespielt. Leider verzögert die technische Verstärkung den Ton – und es stellt sich natürlich die Frage, warum hier überhaupt Verstärkung? Der Klang dieses Instruments dürfte allein schon die nötige, vor allem aber auch authentische Präsenz haben.

Zwei Paare überführen die Poesie des Klanges in die der Bewegungen. Die Musik fließt gewissermaßen durch die Hände und den Körper des Cellisten in die der Tänzerinnen und Tänzer – und zudem noch über eine beträchtliche räumliche Distanz zu weiteren Tänzerinnen und Tänzern, die wir zunächst wie Schattenfiguren im fahlen Licht am hinteren Rand der Bühne wahrnehmen.

Immer wieder hat man den Eindruck, hier breite sich der Klang der Stille aus. Hier durchfließe dieser Klang die Körper und bewege dann die Tänzerinnen und Tänzer in jene höchst sensiblen Figuren, die die Zusehenden so stark berühren. Es ist ein so wunderbares Geben und Nehmen. Dieses Bild gewinnt eine eigene Gestalt, wenn die Figuren aus der Ferne des Schattens treten. Wenn sie von jenen beiden Paare, die zuvor auch immer wieder den Cellisten mit seinem Instrument bewegt haben, sich nun ebenfalls bewegen lassen und sich in einer gefühlten Unendlichkeit diese der klingenden Berührung geschuldete Bewegung fortsetzt. Es ist am Ende eine Feier der Behutsamkeit. Vielleicht auch so etwas wie die neu gewonnene Kraft der Nähe nach langen Zeiten der Distanzen.

Zoe Lenzi Allaria in »Quintett«

Der Gegensatz zur nächsten Choreografie könnte größer kaum sein, und doch erschließt sich schon bald ein kunstvoller Dialog seelischer Verbindungen zwischen der Poesie des Beginns und den widerständigen Bildern der Überwindung des Schmerzes, die darauf folgen.

 »Quintett« von William Forsythe wurde vor nunmehr fast dreißig Jahren, am 9. Oktober 1993, beim Ballett Frankfurt uraufgeführt. Forsythe schuf dieses Werk damals für seine schwer erkrankte und kurz darauf verstorbene Frau. Jacopo Godani gehörte zu den Tänzern, mit denen dieses Quintett geschaffen wurde. In optisch veränderter Form, vor allem ohne die Nutzung einer Versenkung der Bühne (wie bei der Aufführung in der Semperoper) brachte Forsythe dieses Stück schon in der Zeit seiner künstlerischen Leitung der Company nach Hellerau. Godani hat sich nun in seiner neuen Einstudierung in straffem Maß auf diese ganz andere Generation von Tänzerinnen und Tänzern der gegenwärtigen Company konzentriert; also keine Nachahmung, sondern eine neue Sicht, kraft der eigenen, individuellen Persönlichkeiten dieses Quintetts.

Da ist natürlich wieder die Faszination des Klanges. Zunächst aus weiter Ferne, kaum wahrnehmbar, dann immer nähe, in diesen so melancholischen Wiederholungen einer Endlosschleife: „Jesus blood never failed me yet“ von Gavin Bryars. Der Gesang eines Obdachlosen. Die Stimme droht jeden Moment zu versagen, aber doch ist immer wieder die Kraft da, um die nächste Wiederholung zu beginnen. Kein Aufgeben. Und da beginnt auch dieser so beeindruckende wie wie zutiefst berührende Tanz dieses Quintetts so zerbrechlicher, wie dennoch so starker Tänzerinnen und Tänzer. Ja, sie verlassen die Szene immer wider, sind aber gleich darauf wieder da, wenn die Kraft nachlässt werden sie aufgefangen, gestützt, begleitet. Mag sein, dass dies Visionen sind angesichts der Ausweglosigkeit des Weges eines geliebten Menschen für den es kein Zurück gibt. Immer wieder kann sich der Tanz bei höchstem technischen Anspruch über die alltäglichen Erfahrungen der Vergeblichkeit – nicht hinwegsetzten, schon gar nicht hinweg tanzen – nein in Momente schönster Lebenserfahrung verwandeln. Es sollte ja auch für Forsythe, in dieser Zeit schmerzlicher Erfahrungen kein trauriges Stück sein, es solle genau das Gegenteil seins, sagte er, „eine Hommage an das Leben angesichts des Todes“. Zudem lässt diese Choreografie immer wieder etwas spüren von der Kraft des Tanzes, jener Muttersprache des Menschen, die ganz sicher über die Erfahrungen der Alltäglichkeit hinauszuweisen vermag, aber auch sich diesen Erfahrungen in der Schutzlosigkeit körperlicher Verletzlichkeit, die dem Tanz eigen ist.

David Leonidas Thiel, Zoe Lenzi Allaria

Gerade kam die Nachricht, dass der Choreograf Marco Goecke in diesem Jahr den Deutschen Tanzpreis erhält, da feierte seine Choreografie »Good Old Moone« ihre Dresdner Premiere als Abschluss des dreiteiligen Abends »Zeitgeist Tanz«. Goeckes Tanz explodierender Körper, die von innen heraus dermaßen getrieben sind, dass die Bewegungen der Arme und Hände immer wieder wie elektrisch aufgeladene Blitze herausschießen, ist von wahrhaft provozierender Kraft. Provokation, also etwas Verborgenes herauszustoßen, muss hier ganz positiv verstanden werden, als eine Chance der Kunst, sichtbar zu machen, was uns im Inneren mitunter zu zerreißen droht. Und wenn dann noch die Poesie des Titels das alles unter dem Licht des guten alten Mondes geschehen lässt, dann sollte man schon recht vermuten, dass dieser Choreograf auch immer wieder ein Meister poetischer Ironie ist. So wie Patti Smith die starken Töne ihres Gesanges im jähen Wechsel übergehen lässt in die verbale Kunst ihrer Poesie, so die Tänzerinnen und Tänzer im Miteinander und Gegeneinander. Ist es Liebe, ist es Sehnsucht, ist es Trauer, ist es Schmerz, was diese zum einen so verunsichernden, zuckenden Bewegungen, zum anderen aber auch so sehnsuchtsvollen, zueinander wollenden Bewegungen im wahrsten Sinne des Wortes provoziert?

Goeckes Tanz schleudert schutzlos Dinge heraus, die im Verborgenen Schmerz verursachen. Und das kann dann auch im besten Sinne zum Schreien sein. Goecke ist ja als Choreograf ein Meister stummer Schreie. jetzt aber geht es darüber hinaus. Die Tänzerin Anne Jung verbindet die existenziellen Bilder des schreienden Körpers mit denen der sich Bahn brechenden Stimme. Und so schließt sich der Kreis dieser Assoziationen des Zeitgeistes, der so poetisch kraft der über dreihundert Jahre alten Musik begann, in den schmerzhaften Widerstand führte und nun – das mag schon widersprüchlich klingen – in die Poesie des Widerstandes führt: Ganz sicher auch angetrieben von den aktuellen Verunsicherungen des Geistes einer Zeit, in der man sich danach sehnen könnte, versöhnt zu tanzen, im verschwimmenden Licht des guten alten Mondes. Das alles aber wäre nicht so nahe dran am Geist der Zeit, erlebte man hier nicht eine Company sowohl von explosiver, dann aber immer wieder von so sensibler und individueller Kraft. Glückwunsch, Jacopo Godani, Glückwunsch, Dresden! Hier werden Maßstäbe gesetzt für den zeitgenössischen Tanz.

Nächste Vorstellungen: 18., 19., 20., 21. Mai 2022

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