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Vom Postbeamten bis zum König

Foto: privat

Carlos Lozano Fernandez, welchen Inhalt haben die neuen Bände II.22 der Robert und Clara Schumann-Briefedition?
Der Band II.22 »Robert und Clara Schumann im Briefwechsel mit Korrespondenten in Dresden« umfasst einen Zeitraum von 1826 bis 1893, also fast siebzig Jahre, und über einhundert verschiedene KorrespondenzpartnerInnen. Durch die chronologische Sortierung ergibt sich so vom Anfang bis zum Ende ein detailliertes Bild von den Beziehungen des Künstlerpaares in die Residenzstadt und zwar mit Freunden, Kollegen und Mitarbeitern, ihrem dortigen fast sechsjährigen Wirken und Alltag sowie der späteren Zeit, welche dann vor allem von Clara Schumanns Auftritten als Pianistin geprägt ist. Viele Briefwechsel liegen dabei zum ersten Mal ediert vor, etwa mit der Bankiersfamilie Kaskel, Carl Gustav Carus oder dem Ehepaar Serre.

Seit wann arbeiten Sie daran?
Seit Frühling 2018.

Woher haben Sie die Briefe bekommen?
Die Briefe sind zum Teil über die ganze Welt verteilt und haben mitunter eine ganz individuelle Geschichte. Besonders wichtig für diese Bände waren die wertvolle Kooperation mit der Biblioteka Jagiellońska in Kraków, welche die Korrespondenz an Robert Schumann verwahrt, aber auch mit der Sächsischen Landesbibliothek- Staats- und Universitätsbibliothek in Dresden, die mir insbesondere einen sehr großzügigen Zugang zu Autographen von Albert Schiffner gewährte, ohne den die Edition seines Briefwechsels nicht möglich gewesen wäre.

Was waren die größten Herausforderungen bei der Editionsarbeit?
Die Edition historischer Briefe birgt immer wieder Überraschungen – auch unangenehme. Manchmal sind Briefe so beschädigt, dass es nicht mehr möglich ist, den Inhalt zweifelsfrei zu entziffern. Dann können wir meist nur noch eine mögliche Option als Lesart anbieten. Nicht selten sind Briefe auch verschollen und lassen sich lediglich über andere Quellen, etwa Auktionskataloge, aber auch Erwähnungen in anderen Briefen oder Tagebüchern nachweisen. In den letzten anderthalb Jahren hat zudem die Corona-Krise den Zugang zu manchen Archiven, insbesondere im Ausland, erheblich erschwert.

Welche neuen Informationen zu den Lebensumständen und Beziehungen der Schumanns in Dresden haben Sie erfahren?
Die über hundert verschiedenen Briefwechsel umfassen drei Viertel des 19ten Jahrhunderts und repräsentieren vom Postbeamten bis zum König Friedrich August II. eine große gesellschaftliche Bandbreite. Von Anfang bis zum Ende betrachtet ergibt sich so ein Bild, welches weit über die eigentlichen Lebensjahre des Ehepaars Schumann in Dresden hinausgeht. Spannend scheint mir insbesondere die Zeit vor ihrer Entscheidung 1844 in die Residenzstadt umzusiedeln. Während Clara Wieck als berühmte Pianistin hervorragende Beziehungen zu einigen der einflussreichsten Dresdner Familien unterhielt, war Robert Schumann als Redakteur der Neuen Zeitschrift für Musik durch Zuschriften von Mitarbeitern und Lesern sehr gut über die Strukturen des Musiklebens in der Stadt informiert. Der Umzug hierher war vermutlich eine viel bewusstere und kalkulierte Entscheidung, als es bislang den Anschein hatte.

Was hat Sie an Clara und Robert Schumann überrascht?
Mitunter ist spannend zu beobachten, wie strategisch Robert Schumann mit manchen BriefpartnerInnen umgegangen ist, wenn es darum ging, persönliche Ziele zu erreichen. Seine Jahre als Redakteur der NZfM, aber auch der lange Rechtsstreit mit dem Vater Friedrich Wieck scheinen ihn darin geschult zu haben. Vermutlich war auch das Intermezzo des Jurastudiums keine verschenkte Zeit. Die größte Überraschung bei Clara Schumann war sicher ein Albumblatt als Geschenk an die Sängerin Constanze Jacobi, welches sich als Fragment einer bislang unbekannten Komposition der Pianistin herausstellte. Dieser Fund gehört zu den größten Freuden dieser Arbeit.

Was ist für Sie das Bemerkenswerteste an den beiden?
Bei Robert Schumann ist es sicherlich die große Schaffens- und Innovationskraft, die er in Dresden aufbringt. Nicht nur ein großer Teil seines Werkes entsteht hier, es ist auch in seiner Bandbreite von kontrapunktischen Stücken für Pedalflügel, dem Konzertstück für vier Hörner bis hin zur Oper Genoveva so vielseitig und experimentell wie bei kaum einen anderen Komponisten. Auch Clara Schumann muss sich nach dem Tod ihres Mannes als Pianistin neu erfinden. Die Blütezeit des Virtuosentums neigt sich dem Ende und sie ist auch nicht mehr das einstige Wunderkind, zudem Mutter von sieben Kindern. Also konzentriert sie sich auf die Interpretation und wird damit zu einer der führenden SolistInnen, die sich für eine möglichst authentische Wiedergabe eines Werkes einsetzen. Somit antizipiert sie Diskussionen um Werktreue und Aufführungspraxis, die bis heute nicht an Aktualität verloren haben.

Lozano Fernandez studierte Musikwissenschaft (BA/MA) und Kunstgeschichte (BA) an der Technischen Universität Dresden. Seit 2018 arbeiter er an der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber an seiner Dissertation über Robert und Clara Schumanns Wirken und Leben in Dresden.

Serie II Band 22
Briefwechsel mit Freunden und Kollegen in Dresden
hrsg. von Carlos Lozano Fernandez und Renate Brunner
2 Teilbände, 1603 S., Register, Leinen mit Schutzumschlag
Verlag Dohr
ISBN 978-3-86846-032-2