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Not aus Tugend

Not.
Aus.
Tugend.

Wer die Sehnsucht, nein: das Fernweh kennt, ist nicht zu halten. Doch wenn die Pest alle Ausgänge zusperren lässt und Fluchtwege erhebliche Risiken bergen, bleibt nur die stille Einkehr im Vertrauten. Klingt aber nach Stillstand. Es sei denn, man hat eine Idee.

Johannes Pell, der neue Chefdirigent der Staatsoperette Dresden, hatte eine Idee! Sie ist dem Ohrwurm aus einem uralten Filmklassiker entlehnt: »Ein Lied geht um die Welt …« Ob gesungen von Joseph Schmidt oder Fritz Wunderlich, ob von Karel Gott oder den Comedian Harmonists – man hat die Melodie sofort im Kopf. Aus heutiger Sicht wird damit vermutlich etwas mehr heimelige Tümelei als sehnsüchtiges Fernweh geweckt, aber das scheint ein Gang der Dinge zu sein.

An der Operette jedenfalls soll es ins Offene gehen, hinaus in die Welt! Ein Gedanke, der nach den jüngsten Wahlergebnissen gerade in „Freistaaten“ wie Sachsen und Thüringen womöglich bald ernsthafter ins Auge gefasst werden wird. Doch Johannes Pell sieht das Ganze erst einmal pur musikalisch und startet seine klingende Weltreise »Bitte Britisch«. Da Ausflüge gen Nord- und Südamerika sowie streifzugartig auch durch den Süden Europas folgen sollen, scheint politisches Kalkül außer acht gelassen. Klingt ja auch besser als Brexit, Weltmacht und Kleinstaaten-Hickhack.

Nahegelegen – Pell stammt schließlich aus der Operettenrepublik höchstselbst – hätte vielleicht auch ein Abstecher durchs singende, klingende Alpenland. Doch das war dem 1981 in Linz geborenen Musiker, der rasch an Stationen wie Salzburg und Wien, später dann in Bern, Bonn und Erfurt sowie in Schwerin und in Leipzig für Furore gesorgt hat, eben zu naheliegend. Und so ist er mit wachem Interesse an musikalisch überraschenden Raritäten rasch auf die Insel gekommen. Ein „Blick über den Tellerrand“ sollte es sein. Aufgetischt werden Werke von Edward Elgar, Gustav Holst, Ralph Vaughan Williams sowie von Gilbert und Sullivan, darüber hinaus gibt es aber auch Musik von der Grünen Insel Irland, die der aus Dublin stammende Victor Herbert komponiert hat.

Wohl wissend, dass „sein“ Orchester in Sachen Operette und Musical gut gefordert ist, sah der Chefdirigent aber gravierenden Nachholbedarf, den Klangkörper auch mal eigens als solchen ins Zentrum zu setzen. Dafür sollten eben nicht nur bekannte Repertoirestücke aufgeführt werden, sondern hörenswerte Entdeckungen mit Witz und mit Charme. Eine besondere Herausforderung sieht Johannes Pell im „Rausschmeißer“ des Konzertabends, der herrlich schrägen Parodie »A Grand Grand Overture« von Malcolm Arnold. Denn darin wirken vier tönende Staubsauger mit, die letztendlich krachend erschossen werden. Bedient werden diese „Instrumente“ von den Gesangssolistinnen Maria Perlt-Gärtner, Silke Richter und Jolana Slavíková sowie von Bryan Rothfuss. Wahrscheinlich ist das Dresdner Operettenpublikum noch nie günstiger und unterhaltsamer auf’s königlich-brexitianische Inselland gekommen als hier.

Not aus. Tugend!

»Bitte Britisch!«, Premiere heute Abend um 19.30 Uhr (es gibt noch Karten). Weitere Termine: 3., 16., 17., 28. und 29. Oktober.