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Bar im Bass

Als Johann Sebastian Bach im November 1705 vom Konsistorium der Neuen Kirche in Arnstadt einen vierwöchigen Urlaub erbat, um nach Lübeck zu wandern, wusste dieses Schlitzohr genau, dass vier Wochen ein Witz waren, um in dieser Zeit nach Norddeutschland und zurück zu laufen. Das Arnstädter Konsistorium hatte keinen Schimmer, wie lange eine solche Reise dauern konnte; es war arglos, zumal Bachs Vetter Johann Ernst den Orgeldienst vertretungsweise versah. Bach indessen wusste aus eigener Erfahrung, wie lange schon die Wanderschaft dauerte: bereits als Vierzehnjähriger war er 1700 mit seiner Geige im Gepäck und seinem Freund Erdmann an der Seite nach Lüneburg gezogen, um am dortigen Gymnasium einen Freitisch und eine bessere Schulbildung zu bekommen, die für eine Universitätszulassung notwendig war. Von Lüneburg wanderte er gelegentlich nach Hamburg zur Katharinenkirche, um dem berühmten Organisten Adam Reincken  an der größten und berühmtesten Orgel Norddeutschlands zu lauschen. Mit anderen Worten: Der Binnenländer Bach hatte Sehnsucht nach dem Meer und nach guter Orgelmusik, die damals in den norddeutschen Küstenstädten besonders verbreitet war. Bei dem Lüneburger Organisten Georg Böhm lernte er zudem Orgelkompositionen von Dietrich Buxtehude kennen, und das mag den Ausschlag gegeben haben, dass er sich nach fünf Jahren entschloss, direkt zu den Quellen, also eben zu Buxtehude zu gehen, um, wie es in einer zeitgenössischen Lebensdarstellung über Bach zu lesen ist: „den dasigen berühmten Organisten an der Marienkirche Diedrich Buxtehude zu behorchen“.

Das vielfältige kirchenmusikalische Leben in Lübeck mit den berühmten Abendmusiken inspirierte Bach zu eigenen Werken. Er durfte die große Orgel spielen, und insgeheim liebäugelte er mit dem Gedanken, Nachfolger des 70jährigen Buxtehude zu werden, der das auch gern gesehen hätte, aber – da war noch die um zehn Jahre ältere Tochter Buxtehudes, die zu ehelichen Pflicht war, wenn man die Orgelbank dauerhaft drücken wollte. Dieser Preis war Bach doch zu hoch.

Statt nach vier Wochen tauchte er nach vierzehn Monaten in Arnstadt wieder auf und wollte nicht recht verstehen, warum das Konsistorium ihn so harsch kritisierte, während er doch voller neuer Ideen zurückgekehrt war! So wechselte er alsbald nach Mühlhausen, dann nach Weimar, bevor er endlich ab 1718 eine befriedigende Hofkapellmeisterstelle in Köthen antreten konnte.

Foto: PR

Diesen biografische Hintergrund zu erfahren, war recht nützlich, als das »beau son ensemble Dresden«, also ein Ensemble, das den „guten Ton“ mit Traversflöte, Violine, Viola da Gamba, Cembalo und Kontrabass pflegt, am 20. Oktober im Orthschen Gut in Quohren bei Kreischa mit Musik von Bach und Buxtehude sowie von Händel, Marais und Telemann auftrat. Das Ensemble gründete sich 2017 aus erfahrenen Interpreten der Alten Musik aus der Staatskapelle Dresden sowie aus Musikerinnen, die bereits umfangreiche Erfahrungen mit dieser Aufführungspraxis sammeln konnten.

Georg Philipp Telemann war von Hamburg nach Paris gereist; freilich aus ganz anderen Gründen als Bach, denn er trat dort als ein geachteter deutscher Komponist auf, dem als erstem Nichtfranzosen die Ehre widerfuhr, seine Werke in den berühmten »Concert spirituel« präsentieren zu können. Das war deshalb von Bedeutung, weil in Paris Konzerte in der Regel nur mit königlichem Privileg von der Académie Royale de Musique, also der Königlichen Kapelle, ausgeführt werden durften. Es gelang aber, weitere Konzerte zu organisieren, die wiederum nur an Tagen stattfinden konnte, an denen die Oper wegen hoher katholischer Feiertage nicht spielte. Das waren etwa 30 Tage im Jahr. Auch durfte zunächst keine französische Musik aufgeführt werden, eher italienische und andere. So bekam Telemann, wie später Joseph Haydn, eine Chance, seine Werke zu präsentieren. Das war zugleich eine große Auszeichnung, verbunden mit dem königlichen Privileg, eigene Kompositionen in Paris drucken zu lassen.

So weit der interessante Programmansatz unter dem Titel »Ihr seid mir ein Vorbild gewesen« des ensemble beau son mit Susanne Grosche, Traversflöte, Christiane Gagelmann, Barockvioline, Thomas Grosche, Viola da Gamba, Andreas Hecker, Cembalo, und Reimond Püschel, Barockbass. Die Werkauswahl richtete sich daher nach der Besetzung, und deshalb wurde die Triosonate G-Dur BWV 1039, die Bach um 1720 in Köthen für 2 Traversflöten komponierte, für Flöte und Violine dargeboten. Die 1694 erschienene Sonate für Violine, Viola da Gamba und Cembalo von Buxtehude kann zu den Werken gehört haben, die Bach in den »Abendmusiken« kennengelernt haben könnte. Mit einer Cembalo-Suite f-Moll von Georg Friedrich Händel, zu zurückhaltend im Affekt von Andreas Hecker gespielt, wurde auf die lebenslange Beziehung des Hallensers zu Telemann verwiesen.

Die Suite g-Moll aus den Pièces en trio (1692) von Marin Marais vermittelte einen Eindruck von der französischen Kammermusik, wie sie Telemann in Paris kennengelernt hatte. Sein Pariser Quartett Nr. 6 aus der Sammlung »Nouveaux Quatuors en Six Suites« waren 1738 in Paris erschienen und entstanden noch in Paris.

Sympathisch war, dass jedes Ensemblemitglied selbst sein Instrument vorstellte, da die Barockinstrumente eine andere Spielweise erfordern. So wurde darauf verwiesen, dass die barocke Traversflöte einen leiseren, wärmeren Ton hat als die moderne Silberflöte, was auch in der Aufführung deutlich wurde, da die Violine gegenüber der Flöte kräftig im Vorteil war. Und man erfuhr zur allgemeinen Erheiterung, dass der Bass, 1680 gebaut, eine bewegte Geschichte hatte und in der jüngeren Vergangenheit ohne seinen Resonanzboden als Minibar für Sekt und Gläser diente, bevor Reimond Püschel ihn errette und ihn wieder zu einem wunderschön klingenden Instrument rekonstruieren ließ.

Herzlicher Beifall im übervollen Saal des Orthenschen Gutes dankte dem Ensemble für diesen klangvollen Nachmittag.