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Klassische Musik im Randgebiet

Auch Gorbitz ist Dresden. Vom Ruf der Kunst- und Kulturstadt ist dort freilich wenig zu spüren. Die Uhren ticken hier anders, Gorbitz hat mit dem möchtegern-mondänen Elbtal wenig bis gar nichts zu tun. Traditionen reichen in die Plattenbau-Moderne aus DDR-Zeiten zurück – und der Migrationsanteil beträgt in Gorbitz-Süd über zwanzig Prozent, wo in Stadtteilen wie Hellerau, Kleinzschachwitz oder Cossebaude eine drei vorm Komma steht. In der 139. Grundschule zum Beispiel lernen Kinder aus 37 Nationen. Just mit dieser Schule verbindet die Dresdner Philharmonie eine enge und langfristig angelegte Kooperation. Den Grund dafür benennt Schulleiterin Carmen Köppe so: „Weil wir tatsächlich Kinder an unserer Schule haben, die durch ihre familiäre Situation nicht die Gelegenheit haben, an klassische Musik herangeführt zu werden, wir aber der Meinung sind, dass das zu ihrem Leben dazugehören sollte. Unsere Kinder haben durchaus Berührung mit Musik, aber mit einer ganz anderen, teilweise mit einer Musik, die sie noch gar nicht hören sollten, schon aufgrund ihrer Texte. Die klassische Musik ist natürlich ein Lehrplanthema. Allerdings haben wir immer wieder beobachtet, dass die Kinder dafür wenig Interesse zeigen.“ Was so logisch wie entmutigend klingt, denn wie sollte der Nachwuchs in diesem von gravierender Arbeitslosigkeit geprägten Viertel am Stadtrand mit schöngeistigen Themen, Kunst, Kultur oder gar klassischer Musik in Berührung kommen? Die Pädagogin freut sich daher über die neuen Impulse: „Weil wir mit dem Projekt etwas unterstützen können und die Kinder plötzlich eine ganz andere Einstellung zur Musik haben.“

Foto: Michael Ernst

In der Turnhalle dieser Grundschule wurde gestern ein wunderbares Kulturprogramm präsentiert. Da haben Schülerinnen und Schüler gemeinsam mit Musikerinnen und Musiker der Philharmonie musiziert, getanzt und auf Klanghölzern den Rhythmus gestanzt, großflächige Dekorationen visualisierten die musikalischen Themen und staunende Kinder füllten die Stuhlreihen mit begeisterten Blicken. Ein- bis zweimal im Jahr kommen die Gorbitzer Schülerinnen und Schüler aber auch zu Probenbesuchen in den Kulturpalast. All dies ist Ausdruck einer seit dem Schuljahr 2017/18 bestehenden Partnerschaft der Dresdner Philharmonie mit dieser Grundschule. „Ich habe mich gefreut, dass ihr mich eingeladen habt. Mit eurer Musik habt ihr mir einen neuen Geschmack verpasst. Ihr wart einfach super“, erklärt ein Viertklässler nach einem Probenbesuch. Eine Mitschülerin hat gar eine mit Schokolade gefüllte Karte für Thomas Otto gebastelt, um ihm damit für seine Initiative zu danken. Der Geiger widmet sich diesem Projekt und dirigiert die begeisterten Grundschüler.

„Wir wollen Beziehungen aufbauen, Vertrauen wecken und persönliche Verbindungen entstehen lassen. Wenn das gelingt, können wir ein Feuer entfachen für das, was uns am Herzen liegt: die Musik“, fügt Frauke Roth an, die Intendantin der Dresdner Philharmonie. In der Tat ist dieser Kontakt mit dem Orchester zumeist die erste Begegnung der Kinder mit Musikern, Instrumenten und klassischen Werken. Sie wachsen in einem sozialen Brennpunktgebiet auf, nicht selten in schwierigen familiären Verhältnissen, und erhalten so über die Musik eine Teilhabe an der Kultur. Das Ziel dieser Partnerschaft ist es, langfristig angelegte Beziehungen zwischen den Musikern des Orchesters und den Grundschülern entstehen zu lassen. Durch regelmäßige Besuche von Musikerinnen und Musikern der Philharmonie und des Philharmonischen Kinderchors in der Grundschule, um Instrumentenvorstellungen, kleine Konzerte sowie Mitmachformate, aber auch die Vorbereitung und Durchführung gemeinsamer Konzerte von Schülern und Orchestermusikern zu fördern, was bis hin zur Moderation von Konzerten einschließlich der Planung des Ablaufs sowie der Erstellung von Programmheften führen soll, entstehen bestenfalls Vertrauen und Lust an der gemeinsamen Sache. Umgekehrt gibt es regelmäßige Einladungen aller Schüler dieser Grundschule zu Probenbesuchen im Kulturpalast, verbunden mit dem Aufbau eines Schulchores durch Gunter Berger, den Chordirektor der Philharmonischen Chöre, und nicht zuletzt der Unterstützung des Musikunterrichts an der Schule.

Bereits in den vergangenen Schuljahren gab es Konzerte des Philharmonischen Kammerorchesters unter der Leitung von Wolfgang Hentrich in der Turnhalle, einen Auftritt des Philharmonischen Kinderchores zum Weihnachtsmarkt in der Schule sowie den Besuch einer Orchesterprobe der Dresdner Philharmonie im Kulturpalast durch alle 400 Schüler der Grundschule. Einzelne Musikerinnen und Musiker des Orchesters sind regelmäßig zu Besuch in Gorbitz, stellen im Musikunterricht ihre Instrumente vor und helfen bei der Vorbereitung und Gestaltung gemeinsamer Konzerte von Schülerinnen und Schülern.

Auch die sozialen Randgebiete von Dresden gehören zur Stadt. Auf Kunst und Kultur sollte gerade dort nicht verzichtet werden.

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