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Sächsische Sendboten

Just dieser Tage rollen sie wieder, die Militärtransporte, dürften inzwischen im katholischen Polen bejubelt worden sein. Ihr Ziel ist ein großes Militärmanöver in den baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen sowie auf polnischem Staatsgebiet. Rund 18.000 Militärs sollen Macht demonstrieren und Russland gegenüber für Abschreckung sorgen. Alles hübsch auf Grundlage von Recht und Ordnung, versteht sich. Da nämlich vor gut 20 Jahren festgelegt worden ist, die Nato werde keine „zusätzlichen substanziellen Kampftruppen dauerhaft stationieren“, erfüllt der Austausch von Kampftruppen gegen Kampftruppen ja genau diesen Passus. Und die 18.000 Haudegen üben ja nur, sie sollen nicht „dauerhaft“ stationiert werden. „Deutschland, wir sind zu dir gekommen, damit du nicht mehr zu uns kommst.“ Das war 1945 eine der kyrillischen Inschriften im einstigen Reichstagsgebäude. Die Russen sind abgezogen – und Deutschland kommt trotzdem?! Eigentlich absurd.

Alle Fotos: Matthias Creutziger

Deutschland kommt jedoch auch als Kulturnation nach Osten. Eine Woche lang war die Sächsische Staatskapelle in Russland zu Gast, wurde gefeiert, bejubelt und fühlte sich überall willkommen geheißen, wo sie konzertierte. Der Auftakt wurde in Moskau gegeben, mit einem Kammerkonzert in der Residenz des deutschen Botschafters (dort freilich mit einem peinlichen Diplomatenvasallen, der Schostakowitschs Klaviertrio op. 67 mit Bratsche ankündigen wollte und Beethovens Streichtrio op. 8 mit Klavier – jedem der eingeladenen Wirtschaftsleute hätte das ja passieren dürfen, aber einem Kulturattaché?). Bei den geladenen Gästen war mitunter schwer zu unterscheiden zwischen Machern und Tätern, aber so oder ähnlich sind die teutonischen Heerscharen ja immer schon in der Welt aufgetreten. Ob die Kraft der Kultur die Masse der Barbaren je wirklich einbremsen kann? Bei dieser Frage ist mehr denn je reichlich Skepsis angesagt.

Trotzdem soll nicht vergessen sein, dass mit dem Pianisten Denis Matsuev – in dieser Spielzeit Capell-Virtuos der Staatskapelle und sowieso Publikumsliebling in Russland – nebst drei Orchestersolisten schon mal eine exzellente russisch-deutsche Verbindung hergestellt werden konnte, die sich zwei Tage darauf auch in der Philharmonie von Sankt Petersburg beweisen durfte. Zuvor gab es jedoch im historisch so außerordentlich aufgeladenen Tschaikowski-Saal der russischen Hauptstadt das erste Orchesterkonzert dieser Europa-Tournee, das dann am Freitag auch im Petersburger Mariinsky-Neubau wiederholt werden sollte. Franz Liszts 2. Klavierkonzert mit dem stets gefeierten Denis Matsuev und Johannes Brahms’ 4. Sinfonie, jeweils umspannt von der Kapell-»DNA« in Form von Carl-Maria von Webers Ouvertüren zu »Oberon« und (als Zugabe) »Euryanthe«.

Zwischen Orchester und Publikum hat sich sofort eine große Herzlichkeit hergestellt, die womöglich an frühere Russland-Gastspiele – das letzte gab es vor fünfzehn Jahren zur 300-Jahr-Feier von Petersburg – anknüpfen konnte. Dass sich dem musikalischen Brückenbauen mitunter mobiltelefone Störgeräusche untergemischt haben und dass mit enormer Selbstverständlichkeit auch zu den Satzpausen applaudiert wurde – geschenkt. Wichtig war und ist das Kulturbedürfnis dieser Bevölkerung, die wahrlich andere Herausforderungen und Umbrüche zu meistern hatte als die wohlsaturierten Menschen im Westen.

Nach Moskauer Machtpopanz und Petersburger Weltoffenheit – schnelle Limousinen in Schwarz dominierten hier wie da die Russisch-Roulette-Szenen im Straßenverkehr, an der Newa kam noch das 20. Internationale Wirtschaftsforum hinzu – gab es wohl auch ergreifende Momente des Besinnens. Und ein Konzert des deutlich spürbaren Innehaltens am Sonntag im Dom zu Kaliningrad, dem einstigen Königsberg. Was deutsche Ordensritter, Blutjunker, Katholen und Evangelen nebst klerikal und kommunistisch Orthodoxen und nicht zuletzt revanchistisch gestimmten Verbänden hier auch angerichtet haben – die Suche nach Vergebung und einer zumindest europäischen Annäherung schien doch wesentlich größer als die nach Vergeltung zu sein.

Christian Thielemann, der aus seinen Ambitionen zur Kultur im einstigen Ostpreußen keinen Hehl machte, formulierte es so: „Künstler sind diejenigen, die eine positive Botschaft bringen.“ Gerade das Deutsche Requiem von Johannes Brahms würde da sehr zum Nachdenken anregen können. Für dieses Konzert, das es so bereits zur 200-Jahr-Feier des Opernchores in Dresden gegeben hat, reisten die Sängerinnen und Sänger nebst einer Handvoll Musiker sowie der Sopranistin Christiane Karg und dem Bariton Christoph Pohl extra in die russische Enklave – das Resultat war überwältigend. Ein Zeichen, das Thielemann zufolge hoffnungsvoll machen sollte.

Schon der im Oblast Kaliningrad zuständige Kulturminister Andrej Ermak erhob diesen Auftritt zum größten musikalischen Ereignis des Jahres in seiner Stadt. Das Publikum im bis auf den letzten Platz besuchten Dom quittierte es anschließend mit stehendem und äußerst herzlichem Applaus.

In den nächsten Tagen gastiert die Staatskapelle in Paris, Luzern und Baden-Baden.