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Eine Fernsehempfehlung zu Weihnachten

Foto: Andreas Birkigt

Am 25. Dezember vor 40 Jahren starb Charlie Caplin im Alter von 88 Jahren im schweizerischn Corsier-sur-Vevey. Geboren wurde er am 16. April 1889, vermutlich in London. Und »Chaplin«, das ist ein Ballett von Mario Schröder mit Musik von Charlie Chaplin, Benjamin Britten, Samuel Barber und Richard Wagner. Die Uraufführung der Neufassung beim Leipziger Ballett war am 30. Oktober 2010. Die Leipziger tobten, meine Erinnerungen sind noch immer voller Begeisterung.

Nach der Leipziger Premiere folgten weitere Einstudierungen das Stücks beim Ballett des Niedersächsischen Staatstheaters in Hannover, in Tschechien, beim Mährisch-Schlesischen Staatsballett, mit einem bejubelten Gastspiel im Frühjahr dieses Jahres im Prager Ständetheater und aktuell, am 11. Januar 2018, feiert Schröders »Chaplin« Premiere mit dem Ballet de l’Opéra du Rhin in Strasbourg als französische Erstaufführung.

Man muss kein Filmfan sein, kein Cineast, um das auf Anhieb zu mögen. Da ist der kleine Mann mit dem Watschelgang, der Tramp mit den zu großen Schuhen, dem Stöckchen, der Melone und den traurigen Augen. Tragikomisch gerät er in das unmenschliche Räderwerk der Ausbeutung in »Moderne Zeiten«, zum gefährlichen Wahnsinnstänzer mit der Weltkugel wird er in seinem Meisterwerk »Der große Diktator«. Charlie Chaplin: Filmgeschichte, Kunstgeschichte, Weltgeschichte. Nun auch Tanzgeschichte!

Am 26. Dezember sendet das MDR-Fernsehen das Ballett »Chaplin« von Mario Schröder, allerdings zu später, oder früher Stunde, wie man will, um 0.50 Uhr. Wachbleiben oder früh aufstehen lohnt.

In Interviews und Gesprächen sagt Mario Schröder immer wieder, dass Charlie Chaplin eine wichtige Rolle für ihn als Tänzer und Choreograf spiele. Das ging zurück bis in die Kindheit, daran erinnert sich auch seine Mutter. Als für den Neunjährigen aus dem brandenburgischen Finsterwalde – wo wie man sieht, nicht nur die Sänger herkommen – klar war, dass er im Fussball nicht die Möglichkeiten der Bewegung findet, nach denen sein Körper drängt, schlägt die Mutter vor, er solle sich doch mal in Dresden, bei Gret Palucca, an der Ballettschule vorstellen. Hier werden Jungs gesucht. Was ist denn das, Tanz, Ballett, fragt der Neunjährige, na das ist wie bei Charlie Chaplin!, sagt die Mutter. Den kennt er, den mag er und er fährt nach Dresden. Palucca erkennt Schröders Talent, er wird Tänzer, war erster Solist beim Leipziger Ballett unter Uwe Scholz, dann studiert er in Berlin an der Hochschule für Schauspielkunst »Ernst Busch« Choreografie und geht seinen geht Weg als Choreograf. Chaplin aber lässt ihn aber nicht mehr los.

Gemeinsam mit dem Dramaturgen Thilo Reinhardt und dem Ausstatter Paul Zoller kreierte er 16 knappe Szenen, die sowohl das Filmmedium aufnehmen als auch Zeitumstände und Motive aus der Biografie. Und so beginnt die Szenenfolge beeindruckend in verstörenden Bildern, die Chaplins Kindheitstrauma in den Slums heraufbeschwören. Da ist das Bild der Mutter, oftmals als großer Schatten, stilisiert zur Tänzerin, dann im Wahn als Schatten der Verfolgung einer bedrohten Kindheit der Vater als Trinker. Schröder findet Bilder für Dreharbeiten, Studiosituationen nicht ohne Humor und Ironie. Für den ersten Weltkrieg werden Menschen regelrecht eingeseift, der Börsenkrach spielt eine Rolle und dann auch die anfängliche Bedrohung der Stummfilmästhetik durch die neue Tontechnik. Persönliches aus Chaplins Leben begegnet uns: die Ehefrauen Mildred und Oona, Chaplin auch als Opfer der amerikanischen Hexenjagd auf angebliche Kommunisten.

Tänzerisch ist wichtig, dass Schröder, um die Vielfältigkeit und auch die Widersprüche der Persönlichkeit Chaplins sichtbar zu machen, die Person von einer Tänzerin und einem Tänzer darstellen lässt. Der Tänzerin sind die bekannten Figuren Chaplins vorbehalten, dem Tänzer der junge Mann, der sich findet und verliert, gewissermaßen im tänzerischen Dialog mit seinen Schöpfungen, wie sie die Tänzerin zum Leben erweckt. Und es gibt Anspielungen auf berühmte Filmszenen, aber es gibt keine Übernahmen, kein Nachtanzen, dafür verblüffende Lösungen: »Moderne Zeiten«, da geht der maschinelle Wahnsinn rasant über in die Körperlichkeit der Tänzer und beim Spiel mit den Motiven aus »Der große Diktator« verfällt Schröder nicht in den Fehler, eine einmalige Filmszene zu doppeln, sondern es gibt eine neue, beeindruckende Szene: Der Diktator ist in der Welt, in einer durchsichtigen Kugel, und wird von ihr wie in einem absurden Geburtsvorgang ausgestoßen. Vielleicht eine tolle Anspielung auf Brechts Vers: „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch“?

Tänzerisch, so dass die Genrebezeichnung „Ballett“ auch gerechtfertigt ist, begegnet uns ein großes Spektrum tänzerischer Formate und Stile. Durchaus neoklassische Ansätze stehen neben Passagen, die sich aus dem Repertoire des Tanztheaters oder des zeitgenössischen Tanzes herleiten lassen, aber wir sehen in der Leipziger Fassung auch Breakdance, den tänzerischen Widerstand der Straße, mit dem Berliner Tänzer Timo Draheim. Tänzerische Feuerwerke artistischer Brillanz, die Romantik kommt ganz und gar nicht zu kurz, denn Schröders Ballet ist ein großer, wunderbarer Traum eines jungen Mannes auf der Suche nach sich selbst, auf der Suche nach seiner Sprache für die direkten Botschaften und für die indirekten, er findet die Körpersprache und damit seinen Ton der Wahrheit. Der Tanz, so damals zur Leipziger Premiere Chaplins Tochter Geraldine als Ehrengast, sei wohl doch nur das angemessene Mittel, sich mit den vielen Facetten ihres Vaters auseinanderzusetzen.

Dem geht die spanisch-französischen Regisseurin Sonia Paramo in ihrem Ballettfilm nach Mario Schröders Choreografie in der Aufführung mit dem Leipziger Ballett nach.