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Der Turmbau von Dresden

Es war einmal eine Zeit, da schmückten sich die Metropolen rund um den Globus mit herausragenden Bauwerken. Am herausragendsten waren die Fernsehtürme, die von Berlin bis Brasilia, von Moskau bis München, von Paris bis Peking – und eben auch von Dortmund bis Dresden errichtet worden sind. Alles, was höher als 200 Meter in den Himmel ragte, genoss rekordverdächtige Aufmerksamkeit.
Heute ist ein Vielfaches an Bauhöhe nötig, um Passantenblicke von Bildschirmen tragbarer Telefone dorthin zu richten, wo die Frequenzen übertragen werden. Und selbst als Aussichtsplätze taugen viele in den 1950er und 1960er Jahren errichtete Fernmeldetürme, so ihr ursprünglicher Name, inzwischen kaum mehr. Die Bauten in Frankfurt/Main, Hamburg, Köln und Nürnberg sind längst für die Öffentlichkeit geschlossen – zumeist, weil die Deutsche Telekom AG beziehungsweise eine ihrer Töchter, die Deutsche Funkturm GmbH nämlich, solch einen Betrieb als überflüssig ansieht. Als überflüssig definieren Betriebswirtschaftler alles, was nach Zuschussgeschäft klingt. Im Zeitalter von DAB+, DVB-T und DVB-T2 sind himmelsnahe Restaurants und Diskotheken sowie Aussichtsplattformen mit Weitsicht den kurzsichtigen Renditeunternehmern keinen Pfifferling wert. Kein Wunder, dass auch Dresdens 1969 eröffneter und immerhin 252 Meter hoch ragender Turm schon längst kein öffentlicher Ort mehr ist.

In den Reigen der „Früher-war-alles-besser“-Chöre, die auf eine Wiedereröffnung drängen und den Fernsehturm in Wachwitz am liebsten mit einer Seilbahn direkt aus dem Zentrum der einst vom öffentlich-westlichen Rundfunk so abgehängten Stadt verbinden wollen, mischen sich nun auch die Wahlgewinnler vom rechten Ufer der konservativen Sumpfgebiete ein. Und bringen sogar eine zum Himmel schreiende Idee zur Finanzierung der baldestmöglichen Turmbesteigung ein. „Wir sind absolute Befürworter einer Wiedereröffnung des Fernsehturmes möglichst bis 2019 – 50 Jahre nach der Erbauung“ – so tönen Kräfte, die sich hinter dem Kürzel AfD verbergen. Möglicherweise steht das ja für „Absolut für’n Durm“?
Nein, die ironiefrei agierende Wut-Alternative geht dreist auf Stimmenfang und fischt, wo immer es geht – auch gern bei jenen, denen jegliche Weitsicht verloren gegangen ist. Sie setzt auf den Turm, nicht um des Turms wegen, so steht zu vermuten, sondern wegen des blindwütigen Stimmviehs. Wie sagte Heiner Müller so schön und treffsicher: „Zehn Deutsche sind natürlich dümmer als fünf Deutsche.“

Soviel Instinkt haben auch die untereinander zerstrittenen Alternativen, die zur Bezahlung der Zugänglichkeit jenes strittigen Bauwerks das Aus eines etablierten und experimentierfreudigen Hauses vorschlagen. Das Festspielhaus Hellerau – bekanntlich schon den Nazis des 20. Jahrhunderts ein Dorn im Auge – sei „mit viel Geld subventioniert, das für den laufenden Betrieb des Fernsehturmes“ verwendet werden könne. Christoph Dittrich, der neue Präsident des Sächsischen Kulturrats, forderte unlängst ein größeres Augenmerk für die kulturelle Bildung und meinte damit „die Befähigung der Persönlichkeit zur Empathie“. Wie Recht er doch hat! Die heutige Gesellschaft sollte sich unbedingt wieder mit kulturellen Leuchttürmen schmücken. Hellerau ist ein solcher seit seiner Gründung.