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Alles rechtens bei der Bundeswehr?

„Wo man singt, da lass dich ruhig nieder“ – eine musikalische Binsenweisheit des belesenen Italien-Wanderers Johann Gottfried Seume. Der Spaziergänger von Syrakus stammt zwar aus der Gegend des blutgetränkten Schlachtenreichs Lützen (bei Leipzig), hätte aber – zumal als einstiger Mitarbeiter des Verlegers Göschen in Grimma – durchaus auf die Notenbücher schauen sollen, bevor er den Reim so fortgesetzt hat: „Böse Menschen haben keine Lieder.“ Ist doch jüngstens potzblitz aufgefallen, dass in den deutschen Kasernenstuben der Bundeswehr (womöglich auch in deren Außenposten an der russischen Grenze?) Liederbücher höchst fragwürdigen Inhalts gefunden wurden. Eine Reihe von Politikern tut nun entsetzt, als hätte sie nicht gewusst, aus welchem Morast sich 1955 diese erste deutsche Nachkriegsarmee rekrutierte. Der Schoß war furchtbar fruchtbar damals. Ist er es noch immer?

Mehr als ein halbes Jahrhundert später wurden also kürzlich einige dieser Heeres-Horste inspiziert und von Devotionalien aus Nazi-Zeiten bereinigt. Was da so alles ans Licht kam – die Überraschungsheuchelei war enorm! Neben Delikten der Volksverhetzung und verschiedener verfassungsfeindlicher Symbole stieß man auch auf steuerteuer finanzierte Liederbücher mit markigem Inhalt wie „Schwarzbraun ist die Haselnuss“, dem in Sachsen entstandenen „Panzerlied“ („Für Deutschland zu sterben …“!) und nicht zuletzt dem „Westerwald-Lied“ („Heute wollen wir marschier’n / Einen neuen Marsch probier’n …“), das unter deutschen Stiefeltritten und Kettenrasseln europaweite Bekanntheit erlangt hatte. Dieses patriotisch-wehrhaft-nationale Gesangsbuch wurde in einer sechsstelligen Auflage produziert; selbst die mit gut 300.000 Euro Steuergeld bezuschussten Biedenkopf-Tagebücher dürften dagegen noch als billige Schnäppchenkost gelten. Das eine Machwerk will verständlicherweise niemand lesen; das andere steht beim bundesdeutschen Militär noch immer hoch im Kurs.

Apropos Schwarz und Braun und Haselnuss – vielleicht wäre Heino ein ehrlicherer Kriegsminister als Frau von der Leyen? Als der vielnamige Karl-Theodor Maria Nikolaus Johann Jacob Philipp Franz Joseph Sylvester Buhl-Freiherr von und zu Guttenberg im denkwürdigen Jahr 2010 die Wehrpflicht „ausgesetzt“ hat (ein halbfauler Kompromiss, man hätte sie unwiderruflich abschaffen sollen!), beendete er immerhin den staatlich repressiven Eingriff in die persönliche Integrität und das Leben Zigtausender Menschen. Allein dafür hätte ihm ein Friedenspreis gebührt! Denn bis dahin mussten sich Generationen junger Männer von tumben Generälen schurigeln lassen, spürten sie die fragwürdige Befehlsgewalt verkommener Offiziere und steckten wertvolle Lebenszeit in alberner Verkleidung, deren Schneidwerk heute noch unverkennbaren Traditionslinien folgt. Von wegen Bürger in Uniform! Ein offenkundiger Widerspruch ist das, den auch seine häufige Wiederholung nicht überdeckt. Bei Feuerwehrleuten und Eisenbahnpersonal mag der Begriff ja zutreffen, ansonsten aber geht nur entweder Bürger oder Uniform.

„Wer noch einmal das Gewehr in die Hand nehmen will, dem soll die Hand abfaulen“, soll C.S.U.-Kämpe Franz-Josef Strauß 1949 gesagt haben. Als er wenige Jahre später die „Witwenmacher“ namens Starfighter durchgepeitscht hat und sich eine Bundesrepublik als Atommacht wünschte, dürfte er sich einer solchen Aussage kaum mehr erinnert haben. „Wehe dem Deutschen, …“ wird in ähnlicher Weise auch Hardlinern wie Adenauer und Ulbricht nachgesagt. Doch sie alle haben mitsamt ihren biederbraven Gefolgsleuten Remilitarisierung und Aufrüstung billigend in Kauf genommen bzw. sogar forciert.

Welche Chancen wurden damit vertan – eine entmilitarisierte Zone mitten in Europa! Was für ein Beispiel hätte das setzen können. Statt dessen stecken heutzutage Militär und Politik mit der Rüstungslobby unter einer Decke und beliefern Konfliktherde mit Ausbildern und Waffen. Selbstverständlich auch mit Seelsorgern, so viel Nächstenliebe muss sein. Nur von zukunftsfähiger Friedenspolitik ist nichts zu spüren. Stattdessen strotzt die deutsche Kulturnation eher vor Kriegszeug denn vor Liedern. Dass hier und da mal ein wenig Munition abhanden kommt und womöglich von rechtsradikalen Offizieren beiseite geschafft worden ist, gerät nicht einmal mehr zum landesweiten Aufreger, sondern reicht allenfalls für Schein- und Wortgefechte zwischen angepassten Mitläufern und ewiger Opposition. Wen wundert es da noch, dass auch in Dresden, wo schon zu Kaisers und Hitlers Zeiten der Platz vor der Semperoper zu „Zapfenstreichen“ missbraucht worden ist, das Pflaster heute noch regelmäßig von Soldatenstiefeln getreten wird? Dresden ist schließlich nicht nur Garnisons-, sondern auch Traditionsstadt. Schon immer gewesen.