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Wie liegt die Stadt …

Über den Umgang der Stadt Dresden mit dem Trauma des 13. Februar 1945 herrscht vermutlich seit dem 15. Februar 1945 Uneinigkeit. Seitdem wird dieser Zwist Jahr für Jahr thematisiert. Nicht nur die Ureinwohner der Stadt sind sich durch diese Uneinigkeit herzhaft verbunden bis aufs Blut, auch die Bevölkerung in der Region ringsum und inzwischen natürlich auch wir Zugezogenen kommen an diesem Thema kaum mehr vorbei. Unfrieden gab es bisher aber immer nur um die Frage der Sicht auf die Dinge von damals – und natürlich um die Form des Gedenkens im Heute. Händchen halten rund um die Innenstadt? Kränze auf Friedhöfen? Oder etwa „Raucherpausen“ (!) ausgerechnet an Orten, wo Menschen mit Haut und Haar verbrannt sind?

Jahr um Jahr gibt es Konzerte des Gedenkens. Diesmal wird die Dresdner Philharmonie etwa Dmitri Schostakowitschs symbolbeladene »Leningrader« Sinfonie aufführen, die Sächsische Staatskapelle bringt wieder einmal das »Requiem« von Gabriel Fauré und stellt diesem klagenden Werk Olivier Messiaens »Les Offrandes oubliées« voran. In der Kreuzkirche werden Rudolf Mauersbergers »Wie liegt die Stadt so wüst« und »In terra pax« von Frank Martin erklingen, die Frauenkirche gibt Raum für das Requiem in c-Moll von Luigi Cherubini.

Kurz vor all diesen Gedenkkonzerten hat sich der Musikwissenschaftler Wolfgang Mende in einem spärlich, aber interessiert besuchten Vortrag in der SLUB dem Thema des musikalischen Gedenkens zugewandt. »Geschichtsbilder in der musikalischen Gedenkkultur zum 13. Februar« lautete der Titel dieses mit Klangbeispielen versehenen Referats. Sein Fazit: Der Gebrauch der Musik zu diesem Datum bedarf einer kritischen Inventur.

Wolfgang Mende untersuchte vor allem den Trauerhymnus »Wie liegt die Stadt so wüst« von Rudolf Mauersberger und stellte ihm die 1996 uraufgeführte Oper »Slaughterhouse V« von Hans-Jürgen von Bose sowie das »Te Deum« von Siegfried Matthus gegenüber. Letzteres erklang 2005 zur Weihe der wiedererrichteten Frauenkirche, vor der sich nun – sieben Jahre danach – immer öfter diffuse Gruppierungen einfinden, die „Widerstand!“ blöken, aber kaum zu formulieren in der Lage sind, gegen wen oder was sich dieser Widerstand richten soll. Besonders perfide formierte sich diese Brüllerschaft am 7. Februar, als das »Monument« von Manaf Halbouni – ein Symbol gegen Krieg und Gewalt überall auf der Welt – eingeweiht worden ist.

Im Gegensatz zu Worten und Symbolen stellt die Musik ein anderes Medium dar. Wie kann man Schuld vertonen, lautete denn auch die erste Frage nach Wolfgang Mendes äußerst hörenswertem Vortrag. Er selbst untersuchte bei Mauersbergers nur sechs Wochen nach der Bombardierung (bei der auch elf von damals nur noch 33 Kruzianern ums Leben kamen) entstandenem Hymnus vorwiegend die Textgrundlage, weniger die Musik. Kam da aber zu bemerkenswerten Einsichten, denn »Wie liegt die Stadt so wüst« basiert zwar auf (vor)biblischen Klageliedern, in denen die Zerstörung Jerusalems besungen worden ist, wurde aber aller vermeintlichen Schuldformulierungen bereinigt. Offen bleiben musste die Frage, ob dies aus Mauersbergers eigener Haltung heraus oder aus Rücksicht auf die zeitlichen Umstände – die Komposition war bereits Ende März 1945 beendet – resultierte. Bereits das mehrfach wiederholte „Warum?“ stelle den Hymnus als problematisches Werk dar und sei ein authentischer Reflex auf das Trauma der Stadt, so Mende.

Anders klinge die nach dem gleichnamigen Roman von Kurt Vonnegut entstandene Oper »Schlachthof V« des Komponisten Hans-Jürgen von Bose. Das „Warum?“ sei eine typisch irdische Frage – sagen die „Außerirdischen“ vom Planeten Trafalmadore. „Instrumentalisierter Horror“ hingegen klinge im »Te Deum« von Siegfried Matthus an, denn auch in dieser Komposition werde Dresdens Zerstörung und somit dem Opfermythos der Stadt gehuldigt.

Im Gesamtkonzert mit den jährlichen Requien sei ein solches Großaufgebot von Gedenkkonzerten deutschlandweit einmalig, obwohl doch so viele deutsche Städte zerstört worden sind, nachdem der Zweite Weltkrieg an seinen Ursprung zurückgekehrt ist. Dresden war frühzeitig eine der braunsten deutschen Städte, wurde auch vom Publikum konstatiert. Ob es heute schon wieder so ist, blieb offen.