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Wiedersehen in Mailand

Foto: M.E.
Foto: M.E.

Spielzeitbeginn im Dezember? Das gibt’s nur in Mailand! Am dortigen Teatro alla Scala findet die Inaugurazione traditionell am 7. Dezember statt, dem Tag des Heiligen Ambrosius, des städtischen Schutzpatrons Sant’Ambrogio. Traditionell treffen an diesem Datum die sogenannte Hochkultur – missverstanden als elitär snobistisches Fest des Geldadels – und der Bürgerprotest auf der Straße heftig aufeinander. Eine Bannmeile der Polizei schirmt die Kontrahenten voneinander ab. Dabei sind derlei Antagonismen längst zum Kult mutiert, der – glücklicherweise absolut friedlich – Menschen in Smoking und Nerz ebenso zu amüsieren scheint wie jene in Jeans und Strickpullover. Dass beide Seiten ihre als ureigen empfundene Sache sehr ernst nehmen, versteht sich von selbst.

Während die Premierengäste in der Scala verschwinden, um dort noch bei einem Gläschen Champagner vor laufenden Kameras über die Garderoben und das Wer-mit-wem zu disputieren, tönt von der anderen Seite der Piazza vitale Banda-Musik herüber. Dann schließen sich die Türen und man sitzt ein im für den Moment wahrscheinlich bestbewachten Opernhaus der Welt.

Nur an diesem einen Abend im Jahr sind die Mailänder Kartenpreise horrend in höchster Potenz. Bis zu 2.000 Euro pro Platz – was hiesige Hochpreisregionen wie Bayreuth und Salzburg hoffentlich nicht als falsche Botschaft missverstehen werden!

Angesichts derartiger Begleiterscheinungen ist die Frage, ob es da noch der Kunst gilt, durchaus erlaubt. Wenn Intendant Alexander Pereira vor dem Vorhang seine Ehrerbietung Richtung Politik und Musikchef Riccardo Chailly nebst Scala-Orchester die italienische Hymne absolviert haben, folgt endlich die Antwort darauf. Gegeben mit italienischer Oper (womit auch sonst?) vom Feinsten: Wieder einmal Giacomo Puccinis »Madama Butterfly«. Seit ihrer Uraufführung Anfang 1904 ist dies die 30. (!) Produktion dieser Oper am Teatro alla Scala. In absoluten Zahlen ausgedrückt, dürfte lediglich Puccinis »La Bohème« noch häufiger an der Scala gezeigt worden sein. Was natürlich am Staggione-Prinzip liegt, das eine nur äußerst kurze Verweildauer aller Neuproduktionen zur Folge hat.

Aber was ist schon kurz, und was ist lang? Genau zwanzig Jahre ist es her, dass Riccardo Chailly »Madama Butterfly«, diesen seit der Uraufführung 1904 scheinbar ewigen Renner, am Uraufführungsort in seiner Geburtsstadt hat erklingen lassen.

Unter seiner Leitung gab es, wie kaum anders zu erwarten, ein veritables Musik-Fest mit grandiosem Orchesterklang, eine äußerst Interpretation dieser hochdramatischen Partitur, diesmal übrigens in der eher selten aufgeführten zweiaktigen Originalfassung. Auf Chaillys Klangteppich fühlte sich die 1a-Sängerbesetzung sichtlich wohl, von denen so manche Sänger-Darsteller auch schon an der Dresdner Semperoper erlebt werden durften: Maria José Siri in der Titelpartie als eine betörend liebende und leidende Butterfly, Annalisa Stroppa als deren ergebene Dienerin Suzuki – stimmlich in jedem Fall Idealbesetzungen für diese Partien! Für die Herren gilt das nicht minder: Bryn Hymel als amerikanischer Offizier Pinkerton, der sich so eben mal einen japanischen ‚Schmetterlings-Spaß‘ leisten will, Carlos Alvarez als Konsul Sharpless mit wesentlich mehr Verständnis für die emotionalen Gegebenheiten, und Carlo Bosi als schmierig geldgeiler Kuppler Goro – sie waren ein Segen für diese anspruchsvollen Partien. Und selbst die vermeintlichen Nebenrollen sind in Mailand durchweg erstklassig besetzt: bei der Musik lässt man an diesem Haus keine Halbheiten zu. Dass Koryphäen wie Siri, Stroppa und Hymel auch gern in Dresden gastieren, spricht für sich.

Inszeniert hat diese nun schon 30. Mailänder »Butterfly« der aus Lettland stammende Theater- und Opernregisseur Alvis Hermanis, der an der Scala u.a. bereits Bernd Alois Zimmermanns »Soldaten« herausgebracht hat. Gemeinsam mit seinem Ausstattungsteam bediente er Mailänder Kulinarik und Ästhetik mit einer recht architektonischen Inszenierung. Drei Etagen hoch das Bühnenbild, gehandelt wurde vorrangig im Erdgeschoss, oben gab’s bewegenden Tanz und bewegte Tapetenwände mit reichlich Foto- und Videoprojektionen. Das künstlich verknappte Spielraum wurde mit asiatischen Motiven versehen, geriet visuell sehr abwechslungsreich und erzählte die Handlung in geradliniger Deutung: Cio-Cio-San Butterfly amerikanisiert sich, bricht mit japanischen Konventionen, wird von den Ihren verstoßen und gerät in größte Armut, denn Pinkerton hat sie längst vergessen und in den Staaten ‚amerikanisch‘ geheiratet. Er kommt nach drei Jahren mit der neuen Gattin nach Nagasaki zurück und ist dort ziemlich verblüfft ob der anhaltenden Liebe seiner nur als Gespielin gedachten Schmetterlings-Frau. Als ihr der gemeinsame Sohn entrissen werden soll und sie sich entleibt, wird das Finale doch emotional. Der Schmerz dieser Frau ist ergreifend – geht freilich im Premierenbeifall beinahe unter. In Mailand wird eben vor allem das Musikfest gefeiert.
Folgevorstellungen am 13., 16., 18. und 23. Dezember sowie am 3. und 8. Januar (mit 15 bis 250 Euro übrigens wesentlich preisgünstiger).