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Bachs Leben – interpretiert aus dem Geist seiner Musik

gardinerJohann Sebastian Bach – dieser Name steht für den Anfang und das Ende aller Musik. Die Kompositionen des Meisters sind quasi in aller Ohr. Aber was weiß die Welt über sein Leben? Der Dirigent John Eliot Gardiner ist ein Experte in Sachen Bach. Als Interpret. Nun aber auch als Biograf. Jüngst hat er sein Buch »Bach – Musik für die Himmelsburg« präsentiert.

Eine Biografie als Reise durch Landschaften, als Reise durch Klang-Landschaften Johann Sebastian Bachs. Was aber waren Bachs Landschaften? So ziemlich genau das, was man heute als Mitteldeutschland bezeichnet. Von wenigen Ausnahmen abgesehen – Ausflüge gen Norden, zu Buxtehude etwa nach Lübeck -, bewegte sich der einstige Thomaskantor fast nur im Gefilde zwischen Ohrdruf, Köthen, Berlin und Dresden. Ein wesentlicher Punkt seines Schaffens ist natürlich Leipzig gewesen. Hier stand er von 1723 bis zu seinem Tod 1750 im Dienste der Stadt. Leipzig ist der Ort gewesen, an dem Bach seine Klang-Landschaften zu Meisterwerken formte.

So ist es ganz gewiss kein Zufall gewesen, dass John Eliot Gardiner seine Bach-Biografie kürzlich ausgerechnet in Leipzig vorgestellt hat, in der Bach-Stadt schlechthin. Seit langem ist sie es auch für den 1943 geborenen Briten, der sich um die Pflege des Bachschen Schaffens seit Jahrzehnten verdient gemacht hat. 2013 erschien sein Kompendium »Bach – Musik für die Himmelsburg« im englischen Original. Nun liegt es erstmals auch in deutscher Sprache vor.

John Eliot Gardiner: Jedes Mal, wenn wir Bachs Musik erkunden, ist es, als hätten wir einen weiten Weg zurückgelegt, um durch eine ferne, aber bezaubernde Klanglandschaft zu reisen. Immer wenn wir das Gefühl haben, an einem Zielpunkt angekommen zu sein, entpuppt sich dieser lediglich als weitere Durchgangsstation und Sprungbrett für neue Entdeckungen – für eine weitere Begegnung und Beschäftigung mit Bach.

Über die Musik von Johann Sebastian Bach wissen wir nahezu alles. Über sein Leben wissen wir beinahe nichts. Lediglich ein paar Anekdoten sowie Eckdaten der Wohnstätten und Anstellungsverhältnisse. Es gibt aber kaum Korrespondenzen, kaum Äußerungen des Komponisten zu seinen Kompositionen. Für bisherige Biografen war das eine Hürde. In dieser neuen Biografie, einem Kompendium, wird sie deutlich gerissen.

John Eliot Gardiner: Manchmal wirkt Bach selbst auf seine glühendsten Bewunderer ein wenig unnahbar: Sein allgemein anerkanntes Genie als Musiker ist für die meisten von uns einfach zu weit außer Reichweite, zu unbegreiflich. Dabei wird an vielen Stellen deutlich, wie menschlich er war; weniger aus persönlichen Zeugnissen wie Briefen an Familienmitglieder und Beschreibungen aus erster Hand (die dünn gesät sind) als aus Schwachstellen seiner musikalischen Panzerung: Momenten, in denen wir einen Blick auf die Verletzlichkeit eines ganz normalen Menschen erhaschen, der sich mit allzu menschlichen Zweifeln, Sorgen und Unsicherheiten herumschlägt.

Schon in der Vergangenheit gab es jede Menge biografischer Versuche, Johann Sebastian Bach, diesem Urgestein der europäischen Musikentwicklung, auf den Grund zu gehen. John Eliot Gardiner, Bach-Kenner par excellence, versucht in seinem reich bebilderten Buch eine Deutung ganz aus dem Geist der Bachschen Musik heraus:

Was Bachs Musik für viele auszeichnet, ist ihr klarer Aufbau und ihre mathematisch stimmigen Proportionen. Diese Merkmale sind ein Grund für die Faszination, die sie nicht nur auf Komponisten und Musiker, sondern erwiesenermaßen auch auf Mathematiker und Wissenschaftler ausübt. Und doch hat diese profane, attraktive Klarheit ihren Ursprung in einer zutiefst religiösen Grundhaltung. Wie wir gesehen haben, richtete sich der Großteil von Bachs Musik im Gegensatz zu der anderer zeitgenössischer Komponisten nicht an ein Laienpublikum, sondern an eine Kirchengemeinde. Die Religion spielte nicht nur in seiner Erziehung und Ausbildung eine zentrale Rolle, sie war der Mittelpunkt seiner beruflichen Existenz und seiner Weltsicht. Sie hatte für ihn eine ganz praktische, spirituelle Bedeutung, jenseits aller Dogmen, und ruhte auf einem rationalen Fundament. Wer den Menschen oder Komponisten Bach verstehen möchte, kommt nicht umhin, sich mit dem Räderwerk des Glaubens auseinanderzusetzen.

„Nicht Bach, Meer sollte er heißen“, urteilte einst Ludwig van Beethoven. Der britische Dirigent John Eliot Gardiner geht diesem „Meer“ akribisch auf den Grund. Johann Sebastian Bach verstehen, den Meister und sein Werk begreifen – aus der Musik heraus wird es leichter. Leichter, aber nicht einfach. Ein spannender Leitfaden dazu, auf dieser Reise durch die Landschaften von Bach, liegt nun aus den Händen eines wirklichen Kenners vor, aus den Händen eines Experten. John Eliot Gardiners Bach-Porträt ist im Hanser Verlag erschienen. Die 734 bestens ausgestatteten Seiten kosten 34 Euro.