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Opernhafte Auslegung einer Zeitenwende

Im Bild: die Besetzung mit Kazuhisa Kurumada und Sarah Bauer (Foto: Hagen König)
Im Bild: die Besetzung mit Kazuhisa Kurumada und Sarah Bauer (Foto: Hagen König)

Im Europäischen Zentrum der Künste in Hellerau fand eine »Opera spaziale«, also eine ‚Raum-Oper‘ ihre Uraufführung. Der Komponist Oliver Korte, der in Berlin lebt und in Lübeck lehrt, wählte den Titel, da es um Welt-Raum-Probleme geht, aber auch um einen speziellen Raum, der die heliozentrische Raumordnung von Kopernikus als Gegenposition zum geozentrisch-dogmatischen Weltbild der damals alles beherrschenden mittelalterlichen Kirche verdeutlicht. Die Sonne steht im Mittelpunkt, die Erde umkreist sie: entsprechend hat der Regisseur und Dirigent Jan Michael Horstmann nach den Vorstellungen des Komponisten mit der Technik des Festspielhauses und der Landesbühnen Sachsen ein Oval erstellen lassen, in dem in der Mitte, gleichsam als Sonne, der Dirigent sowie Harfe und Laute auf einer kleinen Bühne stationiert sind. Darum sitzt das Publikum. Auf einem Außenring sind 48 Streicher besetzt, darüber erhöht die Bläser und in drei „Ecken“ befinden sich nochmals erhöht die Schlagwerke. So entsteht ein Raum, der das kopernikanische Weltsystem von Planeten und Sternen um die Sonne darstellt (die Bläser-Planeten verändern ständig  ihre Position). Die Sänger eines Madrigalquartetts bewegen sich genauso wie die beiden Solisten (Sopran: Stephanie Krone und Bariton: Kazuhisa Kurumada) samt Sprecherdoubles frei im gesamten Raum und realisieren szenische Funktionen einer Handlung. Diese geht weniger von Lebensstationen des Kopernikus aus, als dass sie in fünf Akten Zeitumstände andeutet. Im ersten Akt stehen Thesen des Astronomen aus dem polnischen Thorn in einem fiktiven Disput mit den wissenschaftlichen Anschauungen von Albert Einstein und vom Dichter Thomas Bernhard. Kopernikus wird vom Bariton gesungen und von einer Sprecherin deklamiert. Der Text von Einstein und Bernhard wird original elektronisch eingespielt. Die Musik begleitet mit den Mitgliedern des Orchesters der Elbland Philharmonie variantenreich und dialogisierend nach einer schlagkräftigen Eingangstoccata den Ablauf. Ähnlich ist der fünfte, der Finalakt angelegt, in dem nach der Darstellung der kopernikanischen Entdeckung des astronomischen Himmelsbildes (Sonne und Planeten werden in Symbolen an die Wände projiziert) heutige Tonaufnahmen von Armstrong und McCandles bei der Mondlandung eingespielt werden. Diesen Eckpunkten des Opernoratoriums wenden sich die drei Mittelakte Lebensumständen der Zeit um Kopernikus zu: Liebe und Pest im Florenz des Boccaccio sowie Torquato Tassos oder Shakespeares, Nostrodamus’ Prophezeiungen; die Inquisition; der Prozess gegen Giordano Bruno und die Verbreitung der Vorstellungen von Macht bei Machiavelli. All das wird auf beeindruckende Weise vom Orchester und seinen Klängen mitgetragen und erhält mit Arien und musikdramatischer Textgestaltung sowie gelegentlichen Madrigalpassagen des Gesangsquartetts opernhafte Auslegung. Die Texte sind allesamt historische Dokumente, die der Komponist auswählte und zusammenfügte.

Der Dirigent Jan Michael Horstmann, der die musikalischen Ereignisse über Distanzen hinweg fest in der Hand hielt und die Szenen arrangierte, ließ eine Aufführung entstehen, die einen faszinierenden klanglich ästhetischen Untergrund schuf, der bei aller Modernität unmittelbar wirkte. Auch wenn man nicht auf Anhieb alles erfassen konnte, ein großartiger Eindruck bleibt, ein Begreifen der musikalisierten historischen Wende von mittelalterlicher Dogmatik in naturwissenschaftliche Wahrheit der kosmischen Vorgänge jenes Jahrhunderts neuer Entdeckungen von Kolumbus’ Amerika bis zu den Weiten des Alls, einer echten „Musica mundana“.

Friedbert Streller