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Französische Modernen

Foto: ovokuro | photocase.de
Foto: ovokuro | photocase.de

Als hätten sich Staatskapelle und Philharmonie abgestimmt, erklangen in den beiden letzen Januarkonzerten Werke, die für künstlerische Entwicklungen der Musik in Paris vorm 1. Weltkrieg charakteristisch sind. Der russische Impresario Sergej Djaghilew hatte mit seinem Russischen Ballett neue Akzente gesetzt. Für sein Ensemble initiierte er künstlerische Gestaltungsprinzipien, die nicht nur Ballett, sondern auch Musik betrafen, und neue Vorstellungen von Bühnengestaltung, bei denen er Picasso, Bakst, Benois, Braque, Chiroco, Larionow, Gontscharowa anregte, die in der Entwicklung der bildenden Kunst Akzente setzten. Ein Komponist wie Strawinsky konnte sich hier entfalten und von den Anregungen profitieren wie auch Debussy und Ravel.

Die beiden Konzerte, die die Staatskapelle in der Semperoper und die Philharmonie im Schauspielhaus vorstellten, zeigten Details dieser Entfaltung neuer Musik der Moderne. Strawinskys »Chant du rossignole« entstand zwischen 1908 und 1914 und wurde für Djaghilew als getanzte Oper in Szene gesetzt. Später arrangierte der Komponist daraus eine Sinfonische Dichtung (natürlich ohne Sänger). Diese Fassung nach Hans Christian Andersens Märchen vom Kaiser und der Nachtigall erklang in der Philharmonie in einer plastisch vorgestellten sinfonischen Form, die der aus Paris gebürtige Dirigent Alain Altinoglu voll ausspielte. Die Flöte, die Nachtigall, hatte hier natürlich in breiten Soli beste Möglichkeiten, gegenüber der „falchen“ Nachtigall im Sound der Oboe und Celesta, die Posaunen markierten den chinesischen Kaiser, die grotesken Fagotte die Minister.

Ravels zweite Suite des für die Djaghilew-Truppe entstandenen Balletts »Daphnis et Chloe« mit der sensibel erfassten Morgenstimmung des Raunens der Natur und der Vögel und des klangvoll hervorbrechenden Sonnenaufgangs ließ die Farbfülle der Orchesterpalette in allen Nuancen wirken. Hier zeigte das Orchester seine volle Gestaltungsfähigkeit, gab den einzelnen Orchestergruppen Spielraum wie etwa den Flöten von Piccolo bis Alt… Das war schon wahrer Impressionismus des Klanges, der vor allem von Claude Debussy inthronisiert wurde. Seine drei sinfonischen Skizzen »La mer« waren deshalb so recht eingeschoben in dieses Programm der Dresdner Philharmoniker, die auch hier unter Alain Altinoglu gerade die Impressionen vom Morgen bis zum hymnisch gefassten Mittag, vom musikantischen Spiel der Wellen bis zum finalen Dialog von Wellen und Wind in plastischen Bildern entfalteten.

Das gleiche Werk erklang am Ende jenes Programms, das eine Woche vorher die Staatskapelle vorstellte. Hier stand mit dem englischen Dirigenten Robin Ticciati, der bereits in einem Aufführungsabend mit der Kapelle begeisterte, ein Gestalter am Pult, der das berühmte Orchester zu dynamischer und vor allem sinfonischer Durchgestaltung anhielt. Hier wurde die Verarbeitung der beiden am Anfang intonierten Grundthemen vom „Möwenschrei“ (Wind) und nicht in ein Viertelschema zwingbarem „Meer“ (Wellen) in allen drei Sätzen besonders deutlich, offenbarten über alle Klanglichkeit hinaus den inneren Zusammenhang von »La mer«. Diese eigene Auffassung von Sinfonik zeigte sich auch schon unerwartet im Violinkonzert von Sibelius. Als Beitrag zur französischen Moderne gab es noch Ravels »Valses nobles et sentimentales«, einem Klavierwerk nach dem Vorbild Franz Schuberts von 1908, das ein Jahr später für das Ballettprogramm »Adelaide oder die Sprache der Blumen« ein Orchesterarrangement erfuhr. Das Werk erklang im Programm der Staatskapelle bei aller Farbigkeit herb.

Die hier betrachteten Konzerte der beiden Dresdner Orchester enthielten natürlich auch je ein Solokonzert. Bei der Philharmonie war das (gleichsam dem Pariser Grundthema angemessen) das 1. Cellokonzert von Bohuslav Martinu. Der tschechische Komponist verbrachte den größten Teil seines Lebens in der Seinestadt. Solistin war Sol Gabetta, die diesjährige Residenz-Künstlerin. Mit faszinierender Technik und versonnenem Ton in den elegischen Passagen erfasste sie das Werk, das nicht nur französische Tradition der Moderne, sondern auch Anklänge an die Heimat des Schustersohns aus Politschka aufnahm. Der Solist des Staatskapellenkonzerts, in dem auch noch Mahlers dann doch nicht in die 1.Sinfonie aufgenommen Satzes »Blumine« erklang, war Leonidas Kavakos, der beim Sibeliuskonzert in kongenialer Zusammenarbeit mit dem Dirigenten die virtuosen Seiten in aller Klarheit akzentuierte und der melodischen Fantasie des finnischen Komponisten überzeugend nachging. Das Werk entstand in der gleichen Zeit von Debussy , Ravel. Strawinsky. So ergab sich ein breiteres Spektrum der Musikentwicklung jener Jahre am Beginn des 20. Jahrhunderts.

Friedbert Streller