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Die unerträgliche Seichtigkeit des Scheins

Alle Fotos: Kai-Uwe Schulte-Bunert
Alle Fotos: Kai-Uwe Schulte-Bunert

Das Musical „Catch me if you can“ erzählt die unglaubliche Geschichte eines Hochstaplers wider Willen: der sechzehnjährige Frank William Abagnale jr. wird von der Scheidung seiner Eltern völlig aus der Bahn geworfen, schlägt sich mit kleineren Scheckbetrügereien durchs Leben und dreht allmählich und wie aus Versehen immer größere Räder – bis er selbst der Welt des buntglitzernden, aber letztlich inhaltsleeren Scheins überdrüssig wird. Das legt natürlich die Frage nahe: funktioniert diese Läuterungsgeschichte in Form eines buntglitzernden Broadway-Musicals?

Für Leuben können wir nach Besuch der Aufführung vom Samstag sagen: ja, verdammt, sie funktioniert! Hehe! Und wie! Denn glücklicherweise dürfen wir uns hier einfach mal drei Stunden (!) hängenlassen und die kurzweilige Story genießen von Frank Williams alias William Frank alias Frank Adam alias Frank Connor alias Robert Black alias Robert Conrad. Hier gilt’s schließlich weniger der Kunst als der Unterhaltung. Und die ist gut und professionell dramatisiert. Alles, was auf Broadway-Brettern möglichst abgehakt werden sollte, bietet die Geschichte: einen liebenswerten Underdog mit Tellerwäscherattitüde, eine emotionale Liebesgeschichte inklusive etwas Eifersuchtsglitzerstaub, dichtgepackte Action mit FBI-Agent Carl „Bulldogge“ Hanratty und seinem mental mild minderbemittelten Team, viele wunderschöne PanAm-Stewardessen und tief dekolletierte Krankenschwestern, Massenszenen und leise Solitärs, sepiagetränkte Rückblenden und puren Slapstick.

Der Musik (Marc Shaiman) könnte man ihre Oberflächlichkeit vorwerfen. Die Texte nehmen – dazumal in der eigentlich knackigen Übersetzung von Werner Sobotka – statt der offiziellen Route mehr als einmal Abkürzungen über den holprigen Randstreifen des guten Geschmacks. Aber all das verzeiht das Publikum gern, es verzeiht und genießt. Rasante Choreographien (Simon Eichenberger, in der Ballettdirektion von Radek Stopka), satte Lichtsetzung (Michael Grundner), ein clever abstrahierendes Bühnenbild von Walter Vogelweider. Und ein Orchester, das am Samstag unter der Leitung  von Christian Garbosnik lustbetont zur Sache ging.

Neben diesem Tausendsassa blieb Olivia Delauré diesmal nur eine Nebenrolle, eine blasse noch dazu...
Neben diesem Tausendsassa blieb Olivia Delauré diesmal nur eine Nebenrolle, eine blasse noch dazu…

Jungspund Jannik Harneit spielt, singt und tanzt den sympathischen Arztpiloten Abagnale ohne Zögern, überzeugend und vielschichtig. In leisen Momenten, bei einem ungläubigen Blick ins Publikum über das Glück, das ihm zumindest in der Musicalfassung fast ununterbrochen hold zulächelt, scheint sich seine eigene kometenhafte Künstlerkarriere am Leubener Haus in den Bühnenkulissen zu spiegeln. Schade, dass Olivia Delauré diesmal nur eine vergleichsweise kleine Rolle zu singen hat: Brenda Strong, die biedere Krankenschwester aus gutem Hause, hat nur einen einzigen größeren Auftritt. Die hier wirklich enttäuschend matte musikalische Vorlage hat Werner Sobotka ratlos und daher stinklangweilig weginszeniert. Wogegen sich Frank Abagnale Sr. (Christian Grygas), Agent Hanratty (grönemeisterlich knautschend: Nikolas Gerdell) und eben Jannik Harneit in einigen Vater-Sohn- beziehungsweise Jäger-Gejagter-Szenen gegenseitig pushen dürfen.

Eine der drei tragenden männlichen Rollen des Stücks: die Figur des Agent Hanratty. Mit den Frauen hatte es Terrence McNally diesmal wirklich nicht so: sie dürfen heiße Krankenschwestern, süße Stewardessen, Playboyhäschen oder ältliche Hausfrauen sein.
Eine der drei tragenden männlichen Rollen des Stücks: die Figur des Agent Hanratty. Mit den Frauen hatte es Terrence McNally diesmal wirklich nicht so: sie dürfen heiße Krankenschwestern, süße Stewardessen, Playboyhäschen oder ältliche Hausfrauen sein.

Eine Kneipenszene hat sich der Dramatiker Terrence McNally da zum Beispiel ausgedacht, die ist ganz großes amerikanisches Kino. Wie der FBI-Agent auf den geschäftlich und familiär gleichermaßen gescheiterten ehemaligen Familienvater trifft, das wird von Grygas und Gerdell meisterlich ausgespielt. Dass die Beziehung von Abagnale senior und Abagnale junior in Wirklichkeit mit der Scheidung der Eltern schlagartig vorbei war („Mein Vater sah mich nie mehr wieder, er hat nie wieder mit mir gesprochen.“) – geschenkt. Wir mögen die Idee, die ganze Geschichte von Lug und Betrug als tieferliegenden Vater-Sohn-Konflikt aufzuziehen. Sie ist tragfähig und überzeugend, und bekommt mit der Beziehung Frank jr. zu seinem FBI-Schatten Hanratty zusätzliche psychologische Brisanz. Dass der Trickster und Versteller Frank Abagnale im Endeffekt an der unerträglichen Seichtigkeit seines Schein-Daseins verzweifelt und seine Verhaftung fast erleichtert begrüßt, ist die große amerikanische Moral  von der Geschichte.

Alles richtig gemacht in Leuben also? Nun, eine ausstatterische Unverzeihlichkeit der Rahmenhandlung müssen wir anmerken. Schwarze Schuhe zu diesem leichten, hellgrauen Sommeranzug, Frank Abagnale, really? Jeder Anwaltsverein hätte den jungen Anwärter doch sofort abgeurteilt, jede Pilotenvereinigung ihn fallschirmlos per Schleudersitz hinauskomplimentiert.

Nächste Vorstellungen: 7., 8., 22., 24., 25. Februar