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Moralist des Musiktheaters

konwitschny-midManche der Hymnen, die heute zum 70. Geburtstag von Peter Konwitschny erscheinen, tragen den Hauch eines Nachrufs in sich. Das Rückblickende liegt natürlich auf der Hand bei einem Regisseur, dessen Lebenswerk nun schon ein halbes Jahrhundert umfasst und der sein Publikum damit immer wieder zu ergreifen verstand. Hinzu kommt, dass Opernliebhaber aus Dresden, Halle und Leipzig es derzeit schwer haben, einen echten Konwitschny zu sehen. Dabei hatte der Jubilar in diesen drei Städten wirkliche Meilensteine des Musiktheaters gesetzt. In Halle die frühzeitige Händel-Pflege, in Leipzig (nach dem kurzlebigen Debüt mit Lortzings „Waffenschmied“) eine veritable Vielfalt vom Verismo bis hin zur Moderne – und in Dresden die psychologisch gedeutete „Verkaufte Braut“, den wohl saftigsten „Tannhäuser“ sowie bekenntnishafte Produktionen von „Nabucco“ bis zum „Friedenstag“. Doch seit dem unsäglichen Theaterstreit um die „Csárdásfürstin“, mit der das neue Millenium im Rückblick auf die Entstehungszeit dieser Lehár-Operette eingeläutet worden ist – eine Inszenierung, die heute ganz ohne Eklat in Graz gezeigt wird und genau 100 Jahre nach der Uraufführung des Werks im 1. Weltkrieg gründlich bedacht werden sollte –, gilt Peter Konwitschny dem Amüsierpublikum als zu schwierig. Ein Wunder ist das nicht, denn wahrer Genuss ist in jedem Fall mit Anstrengung verbunden. Vielen Opernbetrachtern (nicht nur Touristen!) ist das schon zu schwierig. Vom Flach-Fernsehen geschult, will man sich berieseln und nett unterhalten lassen. Dialektische Aufklärung ist da nicht gefragt. Bei einem konsequenten Widerspruchsgeist wie Peter Konwitschny ist das allerdings ein Problem. Denn er ist gleichermaßen altmodisch und begreift Theater stets als moralische Anstalt, wie er modern ist und Musiktheater als Theater aus dem Geist der Musik versteht. So gerät ausgerechnet dieser Künstler, der die Menschen verbinden und am liebsten die ganze Welt retten will, zum Spalter: Sein Publikum verehrt ihn oder lehnt ihn ab. Zwischen glühenden Anhängern auf der einen und empörten Protestlern auf der anderen Seite gibt es beinahe nichts, denn eine Konwitschny-Deutung war nie beliebig, sondern hat immer berührt. So oder so. Ob Sprechtheater, Oper oder Operette, ob Klassiker oder Moderne: Konwitschnys Inszenierungen tragen stets Diskussionsstoff in sich, regen zum Nachdenken an, bleiben zumeist unvergessen selbst in Details und können noch nach Jahren polarisieren. Nur schade, dass sie dann meistens schon abgespielt sind. Dabei hätten viele Produktionen mehr als nur ein Wiedersehen verdient, um mit zeitlichem Abstand die ursprüngliche Sicht noch einmal zu prüfen, den Eindruck zu schärfen, das Potential neuerlich anregend wirken zu lassen. In Dresden und Leipzig zum Beispiel hätte man durchaus die Chance gehabt, sich zu international gefragten Pilgerstätten des sogenannten Regietheaters zu mausern und die im Lauf der Jahrzehnte hier hervorgebrachten Arbeiten gründlich zu pflegen. Muss ja nicht gleich ein Peter-Konwitschny-Museum daraus werden. Doch weder hier noch in Graz, Hamburg oder Stuttgart haben Intendanten je die Größe besessen, ein ihnen ja jeweils nur eine Zeitlang anvertrautes Haus einer Regietheater-Ikone zu widmen. Zu oft wollten sie selbst diejenigen sein, denen eine Zeichensetzung hätte nachgesagt werden können. Zu selten freilich geht solch Anspruch einer eigenen Ära auch auf. So also hat die Semperoper gerade den „Tannhäuser“ abgespielt und hat die Oper Leipzig lediglich Puccinis Gefühlsklassiker „La Bohème“ in der Konwitschny-Deutung noch im Repertoire (wieder am 27. Februar). Tschaikowskys kaum weniger emotionalen „Eugen Onegin“, gar die jüngeren Eskapaden des zum Wagner-Jahr in dessen Geburtsstadt ziemlich mutwillig hervorgebrachten „Gluck-Rings“? Fehlanzeige. Ein Großreinemachen überall, das hier mit dem juristischen Debakel um die „Csárdásfürstin“ und dort mit dem üppigen Scherbenhaufen zu tun hatte, den Ende 2011 die abrupte Vertragsauflösung des ab 2008 als Chefregisseur in zum Leipzig agierenden Konwitschny hinterließ. Ein Mann wie er scheint weder für feste Bindung noch für Posten gemacht. Er war und bleibt ein Vagabund. Der 1945 in Frankfurt am Main geborene Dirigentensohn ist in Leipzig aufgewachsen, wo Franz Konwitschny von 1949 bis 1962 als Gewandhauskapellmeister tätig war. Nach seinem Regiestudium in Berlin, den BE-Assistenzen bei Ruth Berghaus und frühen Schauspielprojekten an kleineren Bühnen der DDR startete Peter Konwitschny – geprägt durch seinen Vater, aber auch in Abnabelung von ihm – eine beachtliche Karriere. Sie führte ihn von Barcelona, Basel und Berlin über Montepulciano, Moskau und München bis hin nach Kopenhagen, wo er 2005 „Elektra“ am neuen Opernhaus inszenierte, sowie nach Paris, Tokyo und Wien. Er ließ er sich weder auf Händel noch auf Wagner festlegen, auch nicht auf die Moderne von Bartók und Berg, Janácek und Nono, Schönberg und Weill. Bei allen hat er tiefgründig schürfend Substanz freigelegt und nicht etwa die Werke zerstört. Peter Konwitschny ist ein Liebender, auch wenn er nicht immer danach lebt. Seine Arbeitsprozesse sind aufreibend, ja fordernd und können gewaltige Energiepotentiale ebenso freisetzen wie auch vernichten. Im kommenden Sommer wird dieser streitbare Zeitgenosse, der trotz immenser Wagner-Affinität noch nie auf dem Grünen Hügel in Bayreuth inszeniert hat, sein vergleichsweise spätes Debüt zu den Salzburger Festspielen geben. Peter Konwitschny inszeniert dort Wolfgang Rihms Oper „Die Eroberung von Mexico“ (Premiere am 26. Juli). Gratulieren wir uns zu diesem Regisseur! Und ihm zu seinem 70. Geburtstag.