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In PVC-Gewittern

Lia Rodrigues Tanzabend »Pindorama«, nach »Pororoca« (2009) und »Piracema« (2010) der Abschluss einer geplanten Trilogie, kommt ohne Musik aus. Eine Vogelstimme, wohl ein Anklang an das unberührte Land vor der Kolonisation (und Zivilisierung), später das Wellenrauschen und gewaltige Krachen einer riesigen Plastikplane, die die Tänzer bedächtig und daher zeitraubend ausgefaltet haben, zum Schluss ein paar gequält klingende Atemzüge: das ist der ganze "Soundtrack" von »Pindorama«. Wenn doch stattdessen der Tanz die ganze Aufmerksamkeit des Publikums gefordert hätte! Doch genaugenommen kommt »Pindorama« eben auch fast ohne Tanz aus. Achtzig lange Minuten vergehen mit Duschen aus Plastikflaschen, dem Aufwischen von Wasserlachen mit großen Handtüchern, dem Auffalten einer großen Plastikplane und im zweiten Teil des Abends mit dem Verteilen von wassergefüllten Kondomen im Raum aus großen Bottichen und den erst verlegenen, dann belustigten Reaktionen des Publikums auf all diese choreografischen Überflüssigkeiten. 

Fotos: PR

Das ist und bleibt denn auch der interessanteste Aspekt an »Pindorama«: der "Umgang" des Publikums mit dem Präsentierten; die langsame Annäherung, Schritt für Schritt quasi, die am Ende fast besitzergreifend wirkt, als die "Zivilisierten" einen immer engeren Kreis ziehen um die nackten Tänzerinnen und Tänzer, die sich in pathetischer Langsamkeit kreatürlich am Boden winden. Da haben aber einige Zuschauer schon aufgegeben, haben den Großen Saal des Hellerauer Festspielhauses verlassen.

Nachdem die Tänzer in Bademänteln den Applaus entgegengenommen haben, verselbständigt sich ein "Postludium": juchzend und kichernd lässt das Publikum die übriggebliebenen Kondome, die wie überdimensionale Tautropfen umherliegen, durch die Gegend sausen und unterm Stöckelschuh zerplatzen, bis ein Saaltechniker lautstark Einhalt gebietet. Der Homo ludens, er zieht beschämt den Kopf ein und tappt zur Straßenbahn.

Nach Stationen in Brüssel und Dresden ist »Pindorama« am 22. Mai in Potsdam zu sehen.