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Gondeln mit der Wunderharfe

»La Fenice« – der Phoenix – brannte zuletzt in den Neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts nieder und entstieg 2003 wieder der Asche (Fotos: Matthias Creutziger)

Zum Abschluss ihrer Richard-Wagner-Tournee gastierte die Staatskapelle in Venedigs größtem Opernhaus, „La Fenice“. Für die Organisatoren der Tour eine echte Herausforderung: dafür, dass in den geschichtsträchtigen Mauern zwei Stunden lang Wagnerklänge branden können, muss das Instrumentarium übers Wasser angeliefert werden. Während also die Musiker sich am Morgen des Konzerttages noch einmal im Hotelbett herumdrehten, trafen sich Transporteure, Orchesterwart und Inspizient im kleinen Frachthafen der Stadt. Der dicke Kapell-LKW maneuvrierte vorbei an kleinen Lieferwagen, aus denen Blumen, Aperol oder Umzugskisten geladen wurden, bis ans Wasser. Ladeluke auf – und dann begann ein kleines Schauspiel, das die umstehenden Hafenarbeiter sichtlich amüsierte: siebenundfünfzig riesige Kisten wurden – „Uno, due, tre!“ – nach und nach auf kleine, in den Bugwellen der vorbeifahrenden Touristenfähren schaukelnde Motorboote gehievt. Und dann schipperten acht ausgewachsene Kontrabässe, ein mächtiges Tamtam, Schlagwerk, Harfe, Violoncelli und die Frackkisten der Musiker über den Canal Grande durch die Lagunenstadt. Was für ein Festzug: Von den Brücken winkten die Touristen, vorbeitreibende Gondolieri schmetterten ihre Weisen – und umkurvten die Kapellkähne geschickt in den kleinen Kanälen und Kanälchen. Die große Sorge des Tourveranstalters zuletzt: der Wasserstand! Venedig habe zur Zeit viel mehr Wasser als sonst in dieser Jahreszeit, hatte die besorgte Seniorchefin der Künstleragentur erzählt. Die Erfahrung der beladenden Frachtmeister, italienische Gelassenheit und das richtige Augenmaß sorgten am Ende dafür, dass die braunen Kisten unter jedem Brückchen durchpassten und am Hintereingang des Theaters glücklich anlandeten.

So erlebten die Venezianer und hörbar viele Touristen aus allen Teilen der Welt ein großartiges Abschlusskonzert: noch einmal wogte und schäumte die Ouvertüre des „Fliegenden Holländers“. Noch einmal betete Johan Botha als „Rienzi“ zum „Allmächt’gen Vater“, gestand der staunenden Menge, er werde „Lohengrin“ genannt und erzählte die Geschichte vom heilsbringenden Gral und berichtete als Tannhäuser mit „Inbrunst im Herzen“ von der Reise nach Rom, zum Papst, der ihn abweist: „Wie dieser Stab in meiner Hand nie mehr sich schmückt mit frischem Grün, kann aus der Hölle heißem Brand Erlösung nimmer dir erblüh’n.“ Die Damen im Publikum seufzten mit und ließen den wild blickenden Tenor schlussendlich im rauschenden Jubelbeifall baden. Christian Thielemann dankte seinerseits lächelnd der Kapelle, die die schwierigen akustischen Verhältnissen der Tourstationen Paris, Wien und nun Venedig souverän gemeistert hatte, und ließ seine Musiker hochleben. Bevor es – per Schiff oder auf dem Landweg – zurück ins Hotel ging, flossen zum Abschied noch andre Wässerchen…

Eine Textfassung des Artikels ist am 1. Juni 2013 in der Sächsischen Zeitung erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.