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Der Jubelkavalier

Foto: Matthias Creutziger

„Der Rosenkavalier“ kann ganz schön lang sein. Routinierte Regie oder (schlimmer noch) routinierte musikalische Umsetzung – schon währt der Klassiker von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal gefühlte sechs Stunden. Dabei sind es netto nur gut dreieinhalb. Und immer geht es um die Zeit. Um das Altern einer einst wohl sehr schönen und immer noch irgendwie begehrenswerten Frau, um die Kürze und Vergänglichkeit von Liebesakten, um die in Frage gestellte Beständigkeit von Schwüren und Gefühlen. „Die Zeit, die ist ein sonderbar Ding“ singt denn auch die Feldmarschallin Fürstin Werdenberg, die längst erkennen muss, was (ihr) die Stunde geschlagen hat.

Wer bei Christian Thielemanns Antrittsdirigat als Operndirigent in Dresden von den rauschhaften Tönen des Vorspiels zum ersten Akt überschwemmt worden ist, mag gemutmaßt haben, in vielleicht nur zwei Stunden sei alles schon wieder vorbei. So opulent und rasant ist selten wer in dieses Liebesspiel zwischen Fürstin und titelgebender Hosenrolle gestürzt, ein geradezu wollüstiger Auftakt. Der schon mal klar machte, wer hier die Hosen an hat, wer die Zügel in der Hand hält und wer die Geschicke des Hauses in Zukunft bestimmt. Regisseur Uwe Eric Laufenberg hat sich mit dieser Inszenierung aus dem Jahr 2000 jedenfalls nicht in die Intendantennachfolge eingebracht.

Diese Sicht auf den „Rosenkavalier“ hat zwar durchaus Charme auch noch heute, zuweilen blitzt sogar etwas Witz auf, der sich dazu aber erst einmal durch wabernde Nebel aus gestellter Personage und zähem Slapstick durchzubeißen hat. Das Bühnenbild von Christoph Schubiger wird mit seiner plüschigen Moderne einfach nicht staubfreier, die Kostüme von Jessica Karge ergänzen genau diesen Eindruck und passen somit bestens in die zeitlose Umweltzone hinein. Doch an diesem Abend – am 18. November; Folgeaufführungen gibt es am 21. und 27. November 2012 sowie am 9., 12. und 16. Juni 2013 – stand ohnehin ganz klar die Musik im absoluten Mittelpunkt des Geschehens.

Natürlich müsste die Staatskapelle jeden Abend so musizieren. Engagiert, glanzvoll, schwelgerisch und gekonnt. Aber erstens tut sie das an vielen Abenden im Jahr und zweitens besteht auch dieses Orchester „nur“ aus lebendigen Menschen. Und sie hat nicht immer jemanden am Dirigentenpult, der wie Thielemann sowohl ein ganz exakter Kapellmeister ist als auch ein maestro-hafter Souverän mit Allüren und Unberechenbarkeiten. Der Kunst geweihten Allüren und sachdienlichen Unberechenbarkeiten! In der Verbindung beider Eigenschaften bringt er das Orchester zum Blühen, ja zum Glühen sogar; verbindet er diesen schwelgerischen Klang mit der außerordentlich hohen Stimmkultur einer Daniela Sindram als „Rosenkavalier“ Octavian, mit einer fulminant auch in höchsten Höhen präsenten Daniela Fally als zu verehelichender Tochter Sophie sowie mit einer Soile Isokoski als Feldmarschallin, die vom ersten bis zum letzten Auftritt durchweg ganz Große Dame ist, mit der rechten Einsicht in den Lauf der Dinge. Nur was die Optik betrifft, insbesondere in Momenten der gemeinsamen Auftritte mit Octavian als heimliches Paar, fühlt man sich doch provoziert zum klangvollen Satz: „Hier gilt's der Musik.“

Aber der gilt es tatsächlich in diesem Chef-„Kavalier“. Bis in die letzte Nebenrolle ist jede Figur perfekt besetzt, um dem Strauss'schen Klangzauber freien Lauf zu lassen. Bei diesem „Rosenkavalier“ erscheint dann plötzlich kein Moment mehr als zu lang.