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Wenn die Zeit Risse bekommt

Es gibt Theater in Dresden, die mit hohem Aufwand die immer gleichen Stücke neu, aber darum nicht besser interpretieren. Unter ihnen gibt es ein Theater, das den freien Gruppen eine Heimstatt bietet, wo diese, wenn auch unter bescheidenen Bedingungen, ihre Vorstellung von Theater realisieren können.

Foto: jsn-media-art

Das am 21., 22. und 23. September im Societäts-Theater vorgestellte Stück „ Vom Fuchs, der den Verstand verlor“ wurde allerdings nicht hier, sondern dank der tatkräftigen Hilfe der Comedia-Koeln und seiner Intendantin und Stückdramaturgin Jutta M. Staerk vor wenigen Wochen in Köln am Rhein herausgebracht. Der Düsseldorfer Autor Martin Baltscheit, erfahren mit Literatur für Kinder und Erwachsene, hat diese Geschichte 2010 aufgeschrieben und das Problem der Demenz mit hintersinnigem Witz, Einfühlungsvermögen und leichter Melancholie durchsetzt. In seinen besten Jahren gibt der schlaue Fuchs seine Erfahrungen an die Jungen weiter, wird schließlich alt und vergesslich, bis er vom Baum fällt. Nun höhnen diejenigen, die einst gewaltigen Respekt vor ihm hatten, die jungen Füchse aber pflegen ihn. 

Heiki Ikkola und Sabine Köhler (Cie. Freaks und Fremde) haben ein fantasievolles Spiel entfaltet, das mit einfachen Mitteln lebendiges Theater bietet. Wie jeder kleine Auftritt präzise durchgearbeitet ist, wie jede Geste sitzt, wie auf wundersame Weise Illusionen entstehen, wenn der kranke Fuchs plötzlich beweglich ist, das alles wird von den beiden Darstellern mit vollendeter Körperbeherrschung und feinsinnigem Humor auf die Bühne gebracht. Auf einer großen Uhr schnurrt die Lebenszeit ab, am Schluss fehlen Zeiger und Zifferblatt, die Zeit bekommt Risse.

Beginnend mit einem mehrsätzigen Foxtrott, der das Geschehen tänzerisch mitreißend antizipiert, erklingt durchgängig Musik, neben Wort und pantomimischem Spiel das dritte gleichberechtigte Element im Stück. Frieder Zimmermann spielt auf der elektroakustischen Gitarre, nur durch wenige elektronische Hilfsmittel wie ein Loopgerät ergänzt. Die Klänge geben den Szenen das Tempo vor, Töne und Geräusche illustrieren die Episoden, z. B. eine köstliche Verfolgungsjagd mit Hunden, denen der Fuchs schlau entgeht. Freche oder nachdenkliche Lieder reflektieren die jeweilige dramatische Situation. Nur wenige anspielende Zitate („Pink Panther“ oder“ Schwarze Katze, weißer Kater“) sind enthalten, alle anderen originären Klänge geleiten die Zuschauer und Zuhörer sicher von Abenteuer zu Abenteuer.

Und deren erlebt der Fuchs sehr viele, bis ihm allmählich die Realität abhanden kommt. Dieser Vorgang ist sehr berührend und ohne jegliche Häme dargestellt. Hier liegt die Stärke des Stückes, das Kindern wie Erwachsenen eine schleichende Altersvergesslichkeit, die sich zur Alzheimerkrankheit ausweitet, theatralisch verdeutlicht. Erinnert sei an das Stück von Carsten Ludwig, das gleichfalls im Societäts-Theater zu Beginn dieses Jahres wenige Aufführungen erlebte: „Die Dame auf der zweiten Etage, die meine Frau war“. Wenn die Leitung des Theaters den Mut hat, innerhalb eines Jahres zwei Stücke über ähnliche Probleme zu zeigen, ist das lobenswert.