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Urlaubspost

Mal mehr, mal weniger leidenschaftlich: sag’s mit einer Postsendung! (Foto aus der "Passion"-Produktion der Staatsoperette: Kai-Uwe Schulte-Bunert)

Da findet sich ein ganz trefflichen Päckchen aus Leipzig. Dass dort seit einigen Jahren das zunehmend beachtenswerte Label Genuin residiert, hat sich unter Musikfreunden längst herumgesprochen. Der Name steht für hohe tonale und haptische Qualität, was daran liegt, dass exzellente Tonmeister und Handwerker jedes Produkt von der Aufnahme bis zur Gestaltung gründlich betreuen.

Soeben haben sie ein Quartett aufgelegt, das auf den ersten Blick überhaupt nicht zusammenzupassen scheint. Und auch beim Durchhören klingt es nicht eben nach Stringenz. Richtig, Genuin hat sich Vielfalt und Außergewöhnliches auf die Fahnen geschrieben. Gut abgemischt also.

Bei „Cellocinema“ etwa ist nicht nur der CD-Titel eine verbale Neuschöpfung, sondern auch der Inhalt dieser jüngsten Zusammenarbeit von Eckart Runge (Cello) und Jacques Ammon (Piano), die damit ihr 2008 gestartetes Cello-Projekt fortsetzen. Wieder gelingt ihnen Kino für die Ohren, die Auswahl der ziemlich perfekt eingespielten Musiken reicht einmal mehr von Charlie Chaplin und Carlos Gardel bis hin zu Astor Piazzolla und Nino Rota. Diesmal aber geht die Reise weiter, von Alfredo Catalani, dessen Oper „La Wally“ 1981 in Jean-Jacques Beineix' Erstling „Diva“ zitiert wurde, über diverse Schostakowitsch- und Janácek-Adaptionen bis hin zu Ennio Morricones Titelthema zu Giuseppe Tornatores „Cinema Paradiso“ und Tom Waits' „Helsinki Mood“ aus Jim Jarmushs „Night in Earth“. Die Mixtur mag vielleicht abenteuerlich wirken, doch erst beim Anhören dieser durchweg dramatisch virtuos vorgetragenen Filmmusiken entstehen die wahren Abenteuer – im Kopf!

Die Scheibe „Percussion“ als Debüt von Alexej Gerassimez setzt die Genuin-Reihe mit Preisträgern des Deutschen Musikwettbewerbs fort, den Alexej sowie seine Brüder Nicolai und Wassily Gerassimez 2010 bzw. 2012 gewannen. Für diese durchaus atemraubende Aufnahme wurden Arbeiten von Tobias Broström, John Psathas, Emmanuel Séjourné und eben von Alexej Gerassimez zusammengetragen, die der auch über Piazzolla improvisierende Perkussionist gemeinsam mit Bruder Nicolai am Klavier und seinem Instrumentalkollegen Julius Heise eingespielt haben. Das klingt manchmal reichlich schräg, manchmal etwas gefällig – und ist genau in diesem Mix ein Unikat auf dem Schallplattenmarkt. Wer Lust am Originären hat, kommt daran nicht vorbei.

Von diesen beiden sehr gegenwartsbezogenen Produktionen geht es – und eben dies spricht für die Vielfalt von Genuin – zurück ins 19. Jahrhundert, zu einer Ausnahmefrau in der damaligen Musikszene. Fanny Hensel-Mendelssohn, die viel zu oft im Schatten ihres Bruders blieb, wird auf der CD „Das Jahr“ von der belgischen Pianistin Els Biesemans entdeckt. Sie stellt den zwölf Monaten zwei Piecen aus dem Jahr 1846 voran und lässt ein Lied aus dem Sterbejahr 1847 folgen. Damit umkreist sie „Das Jahr“, einen nicht nur von der Italienreise, sondern auch von Kirchenmusik und dem eben wiederentdeckten Johann Sebastian Bach geprägten Zyklus, der hier auf einem Pleyel-Flügel von 1850 interpretiert wird und damit ziemlich nah ans einstige Klangideal geraten sein dürfte.

Noch weiter zurück tastet sich der 1981 geborene Pianist Stepan Simonian, der Bachs Toccaten BWV 910 bis 916 ganz aus dem Geist der Musik heraus exerziert. Als atme der am Moskauer Tschaikowski-Konservatorium ausgebildete Pianist, der vor zwei Jahren einen zweiten Preis beim Leipziger Bach-Wettbewerb errang, intuitiv die Vitalität der beachtenswert individuell strukturieren Tonsätze, so klingt seine Interpretation in jedem Moment ungemein frisch gestaltet, in jeder Phrase klug durchdacht und ist höchst fingerfertig ausgeführt.

Wen solche Post erwartet, dem fällt die Rückkehr aus dem Urlaub nicht schwer. Genuin-typisch, das muss noch hinzugefügt werden, sind alle CDs sehr aufwändig und eigen gestaltet sowie mit informativen Booklets versehen. Also nur zu empfehlen.