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Ritterlicher Alterspräsident

Programm und Tagesform werden zur Nebensache, wenn "der Sir" in Dresden am Pult steht. Vor dreißig Jahren dirigierte Sir Colin Davis erstmals die Staatskapelle, und verliebte sich in ihren Klang. 1990 ernannte ihn das Orchester zum Ehrendirigenten; herausragende Kapellkonzerte waren das Ergebnis der stets fruchtbaren Zusammenarbeit. Auch das Musikgymnasium verdankt seinem Schirmherrn viel: hier half Sir Colin, die Karrieren erfolgreicher Musiker auf die Schiene zu setzen. So könnte man weiter rühmen: von beeindruckenden Abenden in Kreuz- und Frauenkirche, von seinem Engagement beim Dirigierwettbewerb der Musikhochschule…

Sichtlich erschöpft wirkte Sir Colin Davis nach dem Konzert am Sonntag; am Montag Abend erlitt er laut dpa einen leichten Schwächeanfall und musste von der Bühne geführt werden. (Foto der Probe mit dem Solisten Nikolaj Znaider: Matthias Creutziger)

Nur folgerichtig also, dass die Kapelle dem Dirigenten zum Saisonjubiläum die Leitung einer kleinen Konzertreise nach Lyon, Mailand, Wien und Dijon antrug. Unter dem Titel "Sir Colin at 85!" ist diese Ehre auch als ein freilich etwas vorfristiges Geburtstagsgeschenk gedacht. Die Tourneeprogramme sind ausschließlich aus beliebten Mozartwerken gewebt; Proben davon darf das Dresdner Publikum dieser Tage im 10. Symphoniekonzert der Saison kosten.

Am Sonntagvormittag übernahm Nikolaj Znaider den Solopart des Vierten Violinkonzerts; klangprächtig wie eh und je, aber diesmal mit leichten Ausrutschern interpretierte der "Capell-Virtuos" der Saison das Werk und schien sich den moderaten Tempovorstellungen des Dirigenten auch gern fügen zu wollen. Ein wie traumwandlerisch abgehobenes gemeinsames Musizieren, wie es die Kapelle mit Znaider als Solist, aber auch als Dirigent schon oft genoss, wurde es diesmal nicht. Auch in den Eckwerken des Vormittags, Mozarts reizvoller "Nächtlicher Serenade" D-Dur KV 239 und der Symphonie g-Moll KV 550, blieben die Musiker auf dem Boden der Tatsachen, arbeiteten konzentriert, aber nicht immer im selben Tempo sicher zusammen. Sir Colin Davis dirigierte im Sitzen, nicht eben exakt bis in die Stabspitze; er schien eher der Musik nachhören zu wollen und schwelgte vielleicht in Gedanken an die lange gemeinsame Zeit. Sichtlich erschöpft nahm er am Ende den Applaus entgegen, der bis zum Kronleuchter der Oper und noch höher brauste; dankte auch freundlich für die bewegten, stehenden Ovationen.

Weitere Aufführung: Dienstag 20 Uhr, Live-Übertragung auf MDR Figaro

Eine Textfassung des Artikels ist am 7. Mai in der Sächsischen Zeitung erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.