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Zwingende Kraft der Interpretation

Zwar gehört Johann Sebastian Bachs „Johannespassion“ zum jährlichen eisernen Bestand der Musik in der Passionszeit, doch nicht jede Aufführung erfüllt die Maßstäbe an eine partiturgerechte Wiedergabe. Diesmal, am 3. April in der Versöhnungskirche Dresden-Striesen, kam die bestürzende Konsequenz, mit der diese Passionsgeschichte abläuft, aus der zwingenden Kraft der Interpretation. Schon mit den allerersten Takte des Eingangschores hatte Christfried Brödel einen Zugang zu diesem Werk gefunden, der die Passion schmerzlich zum Klingen brachte: Selten hört man das Klageduett von Flöten und Oboen (u. a. durch Angelika Fritzsching, Flöte, und Luis Haugk, Oboe), das rhythmisch verquer zur Grundbewegung „Herr uns Herrscher“ liegt, derart scharf und unter Ausspielung aller dissonanten Verschränkungen, die Bach komponiert hat. Man kann sich durchaus vorstellen, dass dieses erste größere Werk, das Bach 1723 zu Beginn seines Thomaskantorats vorstellte, bei vielen Leipzigern wegen seiner musikalischen Kühnheit Befremden hervorgerufen hat.

Es ist immer wieder erstaunlich zu hören, welche Kraft in den alten, heute nicht mehr gebräuchlichen Instrumenten liegen kann, wenn sie von Musikern gespielt werden, die wie im Dresdner Barockorchester mit Konzertmeisterin Margret Baumgärtl die Vorzüge dieser Instrumente zur Geltung bringen.
Auch im Zusammenspiel mit dem vorzüglich artikulierenden Chor der Hochschule für Kirchenmusik Dresden in den Chorälen und vor allem in den Turba-Chören entstand ein Klangbild, das wohl auch von den Erfahrungen gespeist ist, die Christfried Brödel bei seinen vielen Aufführungen mit neuer Musik gesammelt hat. So war die Mehrschichtigkeit der Bachschen Musik deutlich zu erkennen.

Unterstützt von der Continuo-Gruppe, u. a. mit Michaela Hasselt, Orgel, und Olaf Reimers, Violoncello, ließ Andreas Petzoldt als Evangelist die Passiongeschichte nach Johannes nachvollziehen, ihm zur Seite Thomas Oertel-Gormanns, Bass, mit den Christusworten. Gertrud Günther, Sopran, Mechthild Seitz, Alt, vorzüglich von Irene Klein, Viola da Gamba, begleitet, und Matthias Wiechert, Bass, setzten die unterschiedlichen Akzente der religiösen Betrachtungen in den Arien, die die Passion in barocker Affektsprache kommentieren.

Und nun das: nachdem der letzte Ton des letzten Chorals verklungen war: Stille, einfache Stille, ruhiges Abtreten der Musiker und ein ebenso ruhiges Aufbrechen der Zuhörer. Muss das extra betont werden? Diese Zuhörer in der Versöhnungskirche wissen schlicht, dass man eine Passionsmusik nicht wie anderswo mit prasselndem Beifall quittiert.