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Schäfchen zählen

Schäfchen zählen. Das empfiehlt man Kindern wenn sie nicht einschlafen können. Ich erwische mich dabei, dass ich beginne die Zuhörer oder Zuschauer zu zählen, wenn ich das Gefühl habe, ich könnte vielleicht einschlafen. Zur letzten Veranstaltung „Lieder in Semper 2“, vergangenen Donnerstag auf der Probebühne der Sächsischen Staatsoper, waren nach meiner ersten Zählung 60 Zuhörerinnen und Zuhörer gekommen, nach meiner zweiten Zählung waren es nur noch 59, da habe ich mich schon nicht mehr mitgezählt. Und wenn man jetzt meinen könnte, das wäre ein Programm von drei Stunden gewesen, dann kann ich nur sagen, dass gerade mal eine Stunde lang zwei Sängerinnen aus dem Ensemble mit dem Operndirektor am Klavier sich mit viel Vorsicht romantischen Frühlingsgefühlen widmeten.

In Leipzig brachte Ballettchef Mario Schröder „Mörderballaden“ auf die Bühne. Ihm haben es die melancholischen Balladen von Nick Cave angetan und die Frage ob der Tod wirklich das Ende ist, wie viele Tode zwischen Anfang und Ende eines Lebens gestorben werden müssen und wie mörderisch das Leben sowieso ist. Der neue Leipziger Ballettabend ist mörderisch, denn Schröder verlangt seiner Kompanie Höchstleistungen ab, zumal auch gemordet wird, was das Zeug hält, und das muss nicht immer traurig sein, wie in den Moritaten und Küchenliedern deren Art auch bei Caves Balladen anklingt. Und immer wieder gelingen zur Musik Bilder von brüchiger Schönheit, von einer Faszination, die frösteln macht, und da wo sonst die Damen und Herren des ehrwürdigen Gewandhausorchesters sitzen, im Graben, da ist Wasser, und in diesem Wassergraben können Wasserleichen zu wunderschönen Seerosen werden.

Der Abend dauerte 90 Minuten, gezählt habe ich nicht, dass neben mir zwei Plätze frei geblieben waren war einfach nicht zu übersehen. Jetzt sitze ich im Zug und ich zähle die Stunden, ich bin ein wenig nervös, aufgeregt und voller Erwartung. Wohin ich fahre? Nach Ludwigshafen. Ist doch keine aufregende Stadt kann man sagen, ich kann nicht wiedersprechen. Aber eben in Ludwigshafen, im Theater im Pfalzbau, beginnt heute Abend nach fast 40 Jahren das Gastspiel einer der berühmtesten Ballettkompanien der Welt in Deutschland. Das New York City Ballet ist zu Gast und getanzt werden natürlich die Choreografien der Gründungsväter George Balanchine und Jerome Robbins. Na ja, ein paar Stunden dauert es noch bis ich in Ludwigshafen sein werde. Ich sehe mir eine DVD an, nein nicht vom New York City Ballet, aber vom Dance Theater of Harlem: ich werde berichten!

Also, herzlich, bis Montag, Boris Gruhl