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Freundlicher Punk-Opa

"That was dreadful", das war ja zum Gotterbarmen, sagte Nigel Kennedy vor Jahresfrist leise im Kulturpalast vor sich hin. Gerade hatte er wieder freundlich grinsend ein Bach-Solo vergeigt, und sogar bei seinem "Orchestra of Life", einundzwanzig jungen Musikern aus Polen, waren damals sichtlich Anzeichen von Fremdschämen zu bemerken. Die Luft war raus aus diesem Mann; gesundheitlich ziemlich schlecht sah er aus und spielte noch schlechter. Die Herzen der Crossover-Mädchen gehörten ja längst diesem gutaussehenden Pop-Geiger mit Pferdeschwanz.

Foto: Chris Steele-Perkins (EMI)

"Zahnlos" haben die Rezensenten Kennedys Spiel auch auf den bisherigen Stationen der aktuellen Tour genannt. Eine Enttäuschung sei das ziellose Rumgesäge auf Guarneri und E-Geige. Traurig, wie er da so retardiert über die Bühne tapse und kitschige Musik im Fahrstuhl-Kuschelsound herunterfiedle. Den wahren Fan können solche Anfeindungen mitnichten erschüttern, und so war wenigstens die Parkettmitte des Kulturpalastes am Montag Abend gut gefüllt. Nigel Kennedy liebt Dresden – hier verstehen einige der Angereisten seine auf polnisch radebrechten Witze, und der Rest des altersmäßig gut gemischten Hörerkreises lacht immer noch gutmütig mit. Dagmar in der ersten Reihe errötete gar, als der freundliche Punk-Opa ihr Luftküsse zuwarf und sie aufforderte, in der Pause Champagner zu ordern, "der Typ neben dir sieht reich genug aus". Kennedy selbst reichte die gute alte Bierflasche, die auf der Bühne in Reichweite stand.

Den ersten Programmteil des aktuellen, "Four Elements" betitelten Tourprogramms bildete ein durchlaufendes, bunt mit E-Gitarre, Schlagzeug, Marimba, Flügelhorn und Keyboard verbrämtes Arrangement von Antonio Vivaldis "Vier Jahreszeiten". Vier lupenrein intonierende Vokalisten doppelten die Melodieläufe und unterlegten sie mit fugenlos geschichteten Harmoniebausteinen. Der Effekt: ein Vivaldi á la "Swingle Singers", der nun wirklich niemandem wehtat. Sogar die E-Geige fügte sich hier als sattsam bekanntes Provokationsmittel in den Stilreigen, der sich nach der Pause in ein sanftes Rock-Pop-Folk-Ethno-Medley mit einigen kontrollierten Ausbrüchen weitete. Dann streikte Kennedys Bogen doch. Und binnen kurzem sah sein rechtes Handgelenk unter den durchgespielten Pferdehaaren aus wie von Wolle-Petry-Freundschaftsbändern umflort. Sie abzureißen, konnte sich der Geiger lange nicht durchringen.

Eine Textfassung des Artikels ist am 17. November in der Sächsischen Zeitung erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.

Weitere Termine der aktuellen Tour:

18.11.2011 – Baden-Baden – Festspielhaus
20.11.2011 – Mannheim – Rosengarten
21.11.2011 – Aachen – Eurogress
23.11.2011 – Bremen – Die Glocke
24.11.2011 – Köln – Philharmonie
26.11.2011 – Kassel – Stadthalle
28.11.2011 – Essen – Philharmonie
29.11.2011 – Saarbrücken – Saarlandhalle
30.11.2011 – Frankfurt – Alte Oper

(Quelle: www.nigelkennedy.de)