»Braune Dramen« titelte DIE ZEIT (12.5.2011). Die Ausstellung »Verstummte Stimmen« in den Foyers der Sächsischen Staatsoper und des Staatsschauspiels zog bei freiem Eintritt in die Oper etwa 20.000 und in das Schauspielhaus Besucher 15.000 Besucher, Teilnehmer der täglich angebotenen Führungen eingeschlossen. Hinzu kommt die Zahl von knapp 100.000 Besucher der abendlichen Aufführungen, von denen viele während der zwei Monate, die die Ausstellung zu sehen war, an den großformatigen Tafeln vorbeidefilierten. Wenn auch mit Sekt in der einen, Häppchen in der anderen Hand vielleicht nicht die Zeit zur Vertiefung gegeben war, nahmen doch viele der Besucher die Dokumentation über das düstere Kapitel der jüngeren Dresdner Theatergeschichte wahr.
Das 2006 von dem Historiker Hannes Heer aus Hamburg, dem Musikjournalisten Jürgen Kesting und dem Gestalter Peter Schmidt initiierte und von der Axel-Springer-Stiftung finanzierte Dokumentationsprojekt widmet sich einem bislang kaum untersuchten Kapitel der Nazi-Zeit, der „Säuberung“ der deutschen Opernhäuser und Theater ab 1933. Bereits untersucht und jeweils in gleichnamiger Ausstellung präsentiert, sind Hamburg (2006, 30.000 Besucher), Berlin (Staatsoper) und Stuttgart (2008, 25 bzw. 15.000 Besucher), Darmstadt (2009, 20.000 Besucher). Mit 35.000 Besuchern läuft Dresden überraschenderweise allen vorangegangenen Ausstellungen den Rang ab.
Die Aufarbeitung der verdrängten und kaum untersuchten Zeit unterm Nationalsozialismus ist in Dresden ein besonders schwieriger psychologischer Prozess. Passivität, Schweigen des Publikums, Ausweichen und Flucht in die Opferrolle des 13/14. Februar herrschten vor in den Diskussionsrunden der Veranstaltungen, die im Wochenrhythmus die Ausstellung begleiteten. Und der recherchierende Hannes Heer wiederum musste beklagen, dass die hiesigen Institute der Archive „amtshoheitlich“ sehr zugeknöpft waren. Wobei das auf einer Linie zu liegen scheint mit Datenaffäre und Übergriff in andere Bundesländer der sächsischen Justiz heute.
Präsentiert wurde die Dokumentation »Verstummte Stimmen« in den Foyers der Häuser beiderseits des Zwingers auf Bild/Texttafeln und -Säulen. An Hörtürmen ließ es sich an unvergängliche Stimmen und Kompositionen erinnern. Die Aufteilung in die Kapitel Zeitgeschichte, Biografien, "Kampf um die Theater" und "Opfer der Vertreibung", ergänzt um die Schwerpunkte "Dresdner Expressionismus" und "Fremdarbeiter in den Theatern" findet sich im Katalog wieder. Mit umfangreichem Quellen-Anhang ist er auch als Nachforschungsquelle empfehlenswert.
Täter – Opfer – Profiteure
Dresden hatte es besonders eilig mit der Barbarei gegen „Undeutsches“ nach Hitlers Machergreifung im Januar 1933. Das allererste Feuer an Bücher loderte am 7. März vor der Volksbuchhandlung am Schloss und wieder am 8. März auf dem Wettiner Platz, ehe dann in durchorganisierten Aktionen am und ab 10. Mai in ganz Deutschland die Bücher brannten.
Auch an den Theatern und der Oper ging es in Dresden ganz schnell. An jenem 7. März schon hatte ein Trupp der seit 1930 existierenden und aus Mitgliedern der beiden Staatstheater bestehenden „Theaterfachgruppe der NSDAP“ die Bühne der Semperoper besetzt. Unter Führung von Alexis Posse, einem Schauspieler und Aktivisten der Fachgruppe, und Franz Heger, einem Friseur der Semperoper, enthoben sie, Kraft selbst erteilter, aber "von oben" gedeckter Befugnis, den „Judenfreund“ Fritz Busch seines Amtes.
Die Demütigung lief nahezu obszön. Beim Betreten des Pults wurde Busch vom Publikum, das bis in die obersten Ränge von Angehörigen der NSDAP durchsetzt war, johlend niedergeschrien. Mit erhobenem Taktstock blickte er zu seinen schweigenden Musikern, hilflos zur Intendantenloge – und verließ kurz darauf die Bühne. Nicht nur von Dresden, aus Deutschland ging er weg. Mit ihm wurde das gesamte siebenköpfige Leitungsteam gestürzt. Hitler, der Fritz Busch als Dirigenten schätzte, intervenierte aus Berlin mit zwei Telegrammen gegen das Dresdner Geschehen. Doch eine „Entschließung gegen die Rückkehr von Busch“, von 40 Solisten und Vorständen des Personals der Semperoper unterschrieben, besiegelt den Sturz. In dessen Folge mussten 50 Ensemblemitglieder gehen, weil sie „rassisch“ oder politisch unerwünscht waren.
Zur Reichstheaterwoche im Mai 1934, der wiederum ersten Veranstaltung dieser Art in Nazi-Deutschland in Dresden, waren beide Staatstheater in der Sprache der Zeit judenrein und politisch gesäubert.
Nachfolger des Intendanten Alfred Reucker wurde der frühere Verwaltungsdirektor der Königlichen Hoftheater, Paul Adolph; ein Deutschnationaler und Republikgegner, der sich allerdings nur zwei Jahre halten sollte.
Interimistische Operndirektoren wurden Hermann Kutzschbach und, als sein Stellvertreter, Kurt Striegler.
Striegler stand rechtzeitig bereit, um die Vorstellung zu dirigieren
Nachdem Busch herausgebrüllt worden war, hatte Striegler, langjähriger Kapellmeister der Kapelle, das Abenddirigat des »Rigoletto« übernommen. Nach Quellen – Strieglers eigene Einlassungen, die Erinnerungen der Sekretärin Gertrud Döhnert und des Dramaturgen Alexander Schum und nicht zuletzt den Memoiren von Fritz Busch – ist es wahrscheinlich, dass Striegler in das Nazi-Komplott einbezogen war und deshalb rechtzeitig bereitstand. Bei seiner Bemühung um Wiedereinstellung Juni 1945 versuchte er sich mit zwei eidesstattlichen Erklärungen zu entlasten und behauptete, er sei nur zufällig in der Oper gewesen. Wiewohl Indizien dagegen sprechen und auch Fritz Busch das nicht glauben mochte, da man ihn „dort eher suchen musste, als man ihn finden konnte“.
Wie Sven Fritz, Mitarbeiter der »Verstummten Stimmen«, jüngst berichtete, hatte das NSDAP-Mitglied Kurt Striegler 1933 nicht nur den entlassenen Leiter des Dresdner Konservatoriums, Paul Büttner, ersetzt, sondern auch kulturpolitisch wichtige Aufgaben in der Gauleitung und der Reichskulturkammer übernommen. Nach Kriegsende gelang ihm der Neuanfang in Dresden wegen „starker politischer Belastung“ deshalb zunächst nicht. Er ging nach Coburg und München. 1952 hatte sich das Klima jedoch gewandelt: Striegler kehrte nach Dresden zurück und arbeitete bis 1956 wieder als Kapellmeister an der Semperoper. 1955 wurde er zum Ehrenmitglied der Staatskapelle ernannt.
Den als „Judenfreund“ vertriebenen Fritz Busch beerbte 1934 Karl Böhm. Dessen vertragswidrigen Wechsel auf den Dresdner Dirigentenstuhl ermöglichte Hitler selbst, wie auch in seinem Auftrag Böhm 1943 an die Staatsoper Wien berufen wurde. Auf den GMD-Posten für Kapelle und Oper folgte Karl Elmendorff. Seit Mai 1937 Mitglied der NSDAP, bezog sich Elmendorff auf beste Kontakte zu Gauleiter Mutschmann. Er wurde auf persönlichen Wunsch von Hitler in Dresden eingesetzt, obwohl die Kapelle den künstlerisch geeigneteren Joseph Keilberth in Aussicht genommen und bereits mit ihm einen Vorvertrag abgeschlossen hatte. Ellmendorff, 1944 in die von Hitler genehmigte Liste der „gottbegnadeten Künstler“ aufgenommen, was ihn vom Kriegseinsatz „uk“ stellte, verließ nach Kriegsende fluchtartig Dresden. Im Westen machte er dann Karriere als Dirigent und auch auf politischer Ebene.
Die Dokumentation der Ausstellung – nachzulesen im Katalog – bringt erstmals Licht in das dunkelbraune Kapitel der Dresdner Theatergeschichte. Wer wissen will, wie Dresden seine Unschuld verlor, mag hier nachlesen. Hannes Heer, gefragt nach seiner Einschätzung des Einflusses der Nationalsozialisten im Dresdner Theaterbetrieb, sprach von der Stadt als „Spitzenreiter“. Er fügte hinzu: "München ist noch nicht untersucht."
Katalog: Metropol Verlag 2011, 176 Seiten, bebildert, 16,50 €, auch erhältlich an den Theaterkassen