Scroll Top

„Leben und leben lassen“ – Mischa Maisky in Dresden

Mischa Maisky, gestern abend habe ich mir Ihre Platte mit den Bach-Cellosonaten angehört. Lyrisch singt die Musik, leidenschaftlich perlen die Töne, Martha Argerich arpeggiert die Akkorde, und Ihr Montagnana glänzt mit einem raumgreifenden Vibrato… Würden Sie die Sonaten heute, nach fünfundzwanzig Jahren, eigentlich noch so interpretieren? 

Naja, gucken Sie mal das Foto an (das entstand übrigens gegen fünf Uhr früh, nachdem wir mehrere Tage – oder besser Nächte – bei Martha gesessen und mehr geredet als musiziert hatten). Meine Haarfarbe hat sich geändert, inzwischen habe ich Kinder… Ich bin ein anderer Mensch. Aber Sie wollen vermutlich auf etwas anderes heraus, nicht?

Sie wissen schon: historische Aufführungspraxis. Der Begriff schmeckt Ihnen nicht, hm?

Ach was. Die Leute reden immer von Authentizität. Ich glaube an die Authentizität der Emotion. Heute haben wir andere Instrumente als zu Zeiten Bachs, wir hören andere Geräusche auf der Straße, wir atmen – leider! – eine andere Luft. Leute, die das kleinreden, nannte Boulez einmal "Rekonstruktionisten". Sie essen ihr Abendbrot bei Kerzenlicht, tragen eine barocke Perücke und Schminke. Musik ist doch etwas lebendiges! Ich sage immer, Bach ist für mich der modernste Komponist.

Heute abend spielen Sie in der Frauenkirche ein Haydn-Konzert. Dafür hilft es sicher schon, ein bisschen über Haydn und seine Zeit zu wissen, die Instrumente zu erforschen, die Spielweisen…

Natürlich! Alles was ich sage, ist: lasst uns aufgeschlossen, vorurteilsfrei an die Sache herangehen. Wenn man von Traditionen beeinflusst ist, ist das nicht immer gut. Wer Bach als Barock-Komponist bezeichnet, beleidigt ihn in meinen Augen. Solche Schubladen sind ein Zeichen eigener stilistischer Unsicherheit. Große Komponisten kennen solche Grenzen nicht. An Otto Klemperer wurde einmal herangetragen, man spiele Bach jetzt ohne Vibrato. Wissen Sie, was er gesagt haben soll? "Hoho, zwanzig Kinder und kein Vibrato?" Was ich meine, ist: sicherlich wissen Musikwissenschaftler heute mehr oder weniger, wie Musik zu Bachs Zeiten aufgeführt wurde. Aber wo ich eine eindeutige Linie ziehe: wir wissen nicht, wie Bach die Musik gespielt haben wollte! Für mich gibt es nur zwei Arten, wie sie definitiv nicht gespielt werden darf: hässlich oder langweilig. Ansonsten gilt für mich: Leben und leben lassen…

"Leben und leben lassen!" (Foto: PR, Nordic Artists Management)

 

Instrumentalstars im Konzert
30. April 2011, 20 Uhr
Frauenkirche Dresden

Anton Arensky
Tschaikowsky-Variationen
Peter Tschaikowsky
Nocturne und Streicherserenade
Joseph Haydn
Cellokonzert C-Dur

Violoncello Mischa Maisky
Russische Kammerphilharmonie
St. Petersburg
Leitung Juri Gilbo

Karten: Tel. (0351) 656 06 701
>ticket@frauenkirche-dresden.de< /a>